Der Schrei nach innen

­Der Schrei nach innen

Bezirksinspektor Heinrich Glatzl blickte gelangweilt aus dem Fenster.

„Arbeitet ungelöste Fälle auf, wenn nichts zu tun ist. Das schärft die Sinne!“, hatte sein Vorgesetzter, der Leutnant Matzinger gemeint.

Seit Tagen war es ungewöhnlich ruhig. Kein Mordfall weit und breit.

Nicht dass Heinrich Glatzl das stören würde. Aber er hatte vom Leutnant die Aufgabe bekommen Inspektor Thiemig, den Neuen, unter seine Fittiche zu nehmen. Ihn quasi fertig auszubilden. Inspektor Kurt Thiemig war neu im Präsidium, ehemaliger Verkehrspolizist, der sich durch Schulung weitergebildet hatte.

Der Matzinger, sonst ein „Du“ Freund, hatte die Spannungen zwischen dem Thiemig und ihm beobachtet und war unerbittlich. Es gäbe doch im Präsidium genügend fachlich kompetente Beamte; war Heinrich überzeugt. Doch nein, er - Heinrich, musste es sein.  Dieser Thiemig war in seinen Augen eine Nervensäge. Natürlich! Ein Streber von der schlimmsten Sorte. Wie sonst auch hätte er es von der Verkehrspolizei zur Kriminalabteilung geschafft. Der Bezirksinspektor mochte keine Streber. Er war eher von der gemütlichen Art und dennoch erfolgreich.

Thiemig war da anders.
Heinrich sah auf sein Gegenüber. Dieser war vertieft in den alten Akten, wie der Leutnant es wollte.

Thiemig spürte, dass Glatzl ihn beobachtete und beugte sich tiefer in die Akten.

„Sie übersiedeln zu mir ins Büro!“, hatte Glatzl gesagt.

„Wir sind jetzt Partner, gemeinsam mit Johann Spreitzhofer. Der Schreibtisch mir gegenüber ist jetzt ihrer. Die Frau Gerti Stangl wird ihre Sekretärin. Der Leutnant will, dass ich sie unter meine Fittiche nehme, da habe ich sie gerne bei mir!“

Natürlich war Kurt Thiemig zuerst von der Ansage schockiert, besonders von dem Tonfall, mit dem sie gemacht wurde. Nach näherer Überlegung stellte er fest, dass ein Schreibtisch im Hauptbüro und eine eigene Sekretärin wohl einen Aufstieg bedeutete. Er war jetzt ein Teil der Mordgruppe. Das bedeutete Prestige. Ein Wermutstropfen war sicherlich die Nähe und Zusammenarbeit mit Heinrich Glatzl. Man konnte spüren, dass ihm diese Konstellation nicht angenehm war. Da mussten sie wohl beide durch. An ihm, Kurt Thiemig, sollte es nicht liegen. Wie heißt es doch: „Deinen Freunden sollst du nahe sein, deinen Feinden noch viel näher.“
Kurt Thiemig war klar, dass dies seine Chance war. Den Heinrich Glatzl musste er wohl in Kauf nehmen.

Die Zusammenarbeit bei ihrem letzten Fall war gar nicht so schlimm. Es war sein erster Mordfall gewesen und sie hatten ihn gemeinsam gelöst.

Offensichtlich war der Leutnant zufrieden und übernahm ihn in die Mordgruppe.

Thiemig war sowieso der Meinung, dass der Fall hauptsächlich durch seine Überlegungen gelöst werden konnte.
Frau Stangl steckte den Kopf herein.

„Wir haben hier eine seltsame Meldung von den Verkehrspolizisten erhalten!“, meinte sie. „Es könnte sich um einen Mord durch ein Fahrzeug handeln!“

„Die Vermutung eines Verkehrspolizisten?“ meinte Glatzl verächtlich.

„Die Untersuchung ist noch im Gange, doch möglicherweise war es Absicht!“

„Wer hat die Meldung gemacht?“, mischte sich Thiemig ein.

„Ein gewisser Hauptmann Josef Leitner!“

„Das ist ein guter Mann, den kenne ich von früher!“, jubelte Kurt. „Wir sollten ihn ernst nehmen!“

Glatzl war nicht dieser Meinung.

„Nun gut – dann kümmern sie sich darum! Spreitzhofer soll mit ihnen fahren!“

Heinrich hatte keine Lust, sich um einen Verkehrsunfall zu kümmern.

Revierinspektor Johann Spreitzhofer war ein anderes Kaliber, aber auch er hatte seine Schwierigkeiten mit Glatzl, Deshalb hatte er auch ein eigenes Büro. Er war sofort bereit zur Unfallstelle zu fahren.

Leitner war noch da, doch der Unfallort war bereits geräumt.

„Was haben wir?“ fragte Inspektor Spreitzhofer.

Doch der Hauptmann sah den Thiemig und wandte sich nur an diesen:

„Kurt! Ich habe schon gehört, dass du es in die Mordgruppe geschafft hast! Meine Gratulation! Also! Es schien sich zuerst um einen normalen Verkehrsunfall zu handeln. Vielleicht eine Unachtsamkeit des Fahrers. Es wurde eine Frau Gabriele Rufus angefahren, dabei verriss der Fahrer Max Rückauf das Fahrzeug und landete auf der Gegenseite im Straßengraben auf dem Dach. Der Wagen dürfte sich mehrmals überschlagen haben. Wir haben vier Schwerverletzte; der Fahrer, seine Frau Helene Rückauf und ein junger Mann Nikolaus Rückauf, sowie die Fußgängerin Gabriele Rufus. Alle nicht vernehmungsfähig! Die Daten entnahmen wir den Papieren, die sie bei sich hatten. Sie wurden in die Klinik gebracht. “

„Was hat sie auf die Idee gebracht, dass die Fußgängerin absichtlich angefahren wurde?“, mischte sich Spreitzhofer ein, denn er fühlte sich übergangen.

„Frau Gabriele Rufus war noch kurzfristig bei Bewusstsein und murmelte immer wieder: „Mörder, Mörder!“. Das ist doch schon seltsam und hat mich veranlasst, euch zu kontaktieren!“
„Das reicht! Sie haben richtig gehandelt! Wir übernehmen den Fall!“, meinte Spreitzhofer lakonisch, bevor ihm Thiemig zuvorkommen konnte.

„Wurde der Wagen schon auf Auffälligkeiten untersucht?“

„Das Auto wurde in die Halle gebracht. Die Spurensicherung ist noch dran. Alles Weitere ist jetzt euer Bier!“.

Zu Thiemig gewandt, meinte er: „Kurt – viel Erfolg! Leicht wird das nicht. Wir haben nicht viele Anhaltspunkte.

„Möglicherweise ist ja auch nichts dran. Wir werden es herausfinden!“ Kurt hatte schon sein Handy am Ohr und auch Spreitzhofer gab seine Anweisungen an das Sekretariat.

 

Nach Auskunft der Klinikärzte waren alle vier Unfallopfer nicht ansprechbar. Daher suchten sie nach Angehörigen.

„Was habt ihr herausgefunden?“, fragte Glatzl gelangweilt

„Das wird ein Aufsehen geben. Es handelt sich um Leute mit viel Geld und Ehre!“

„Ehre – dass ich nicht lache! Das sind oft die Schlimmsten, weil sie denken, sie könnten sich alles erlauben!“, Heinrich hatte mit solchen Menschen schon bittere Erfahrungen gemacht.

„Zuerst waren wir bei dem Anwesen der Frau Gabriele Rufus. Sie wurde angefahren und die Ärzte kämpfen um ihr Leben. Sie ist Witwe und lebt allein mit einer Haushälterin, Maria Kraft und einem Gärtner Heinz Greber, der auch sonst alles imstand hält.   Das Haus ist riesig, ebenso der Garten. Alles wirkt sehr gepflegt und sauber.“

„Irgendwelche Zusammenhänge mit der Familie Rückauf, das die Aussage des Unfallopfers bestätigen könnte?“

„Bisher nicht, aber die Angestellten wirkten irgendwie als würden sie etwas verheimlichen wollen!“

„Woraus schließen sie das?“

„Kann ich nicht wirklich erklären – sie drucksten so herum und wollten absolut nichts über Frau Rufus von sich geben!“

„Aha – Bauchgefühl! Hoffentlich täuschen sie sich nicht!“, ätzte Glatzl.

„Wir werden sie vorladen und einzeln befragen!“

„Die Villa der Familie Rückauf war noch gewaltiger. Besonders der Garten, der einem Park gleicht, mit einem Teich und einem angeschlossenen Pavillon, der von Büschen umgeben ist, vermutlich um Schaulustige auszusperren!“

„Was sie schon wieder denken!“, knurrte Glatzl

„Auch hier gab es zwei weibliche Angestellte Andrea Prybil und Antonia Moser, die sich um das Haus kümmern sowie einen Gärtner Heinz Greber, der sich zeitweilig um den Park kümmert. Sonst scheint es die ganze Familie bei diesem Unfall erwischt zu haben!“
„Für Unfälle sind wir nicht zuständig. Wenn sie diesen Fall weiterverfolgen wollen, dann viel Glück, Spreitzhofer und sie!“

„Danke – für heute reicht es. Morgen werden wir nochmals in die Klinik fahren!“, verkündete Thiemig eifrig.

Dem Glatzl war das egal. Dieser Fall schien uninteressant. Damit könnte man sich nur kalte Füße holen.

„Sollen sie sich doch den Kopf anrennen!“, dachte er belustigt.

 

Da nun Glatzl an dem Fall uninteressiert war, zog Thiemig in Spreitzhofers Büro um. Jedenfalls bis zur Erledigung dieses Falles.

Gerti Stangl hatte recherchiert: Sie fand keine weitere Verwandtschaft von Gabriele Rufus. Ähnlich war es bei den Rückaufs.  Da gab es nur den Vater von Helene Rückauf, den Hofrat Herbert Bachler, ein Industrieller, Kunststoffe und Elektronik. Bekannt durch seine 3D -Drucker, die er weltweit vertreibt. Sie sind auch die Grundlage seines Finanzimperiums.

 

Kaum war am nächsten Tag Spreitzhofer im Präsidium angekommen, lernte er kennen, was Glatzl bei Thiemig als Streber verurteilte.

Normalerweise hatte sich Johann Spreitzhofer angewöhnt im Büro zu Frühstücken. Das war nicht möglich, weil Thiemig schon ungeduldig auf ihn wartete. Er hatte vor, diesen Hofrat Herbert Bachler zu besuchen und wollte ihn antreffen, noch ehe er aus dem Haus ging. Einen Mann wie Bachler konnte man nicht einfach vorladen. Aus welchem Grund auch? Weil sein Schwiegersohn einen Unfall mit seiner Tochter hatte? Und was hätte die Mordgruppe damit zu tun?

Nun, obwohl Spreitzhofer quasi sein Vorgesetzter war, fügte er sich, denn Thiemigs Argumentation leuchtete ihm ein.

Allerdings kamen sie bereits zu spät. Laut dem Hausdiener war Hofrat Bachler bereits entweder in Radlberg oder in der Innenstadt von St. Pölten unterwegs.
Die beiden Beamten waren enttäuscht, besonders Johann, der auf sein Frühstück verzichtet hatte. Kurt wollte auf keinem Fall mittels Handy Kontakt aufnehmen. Sie wandten sich schon zum Gehen, da fiel dem Hausdiener noch etwas ein:

„Der Herr Hofrat erwähnte noch, dass er vorhatte, nach seinem Besuch in den Betrieben, in die Universitätsklinik zu fahren, um nach seiner verunfallten Familie zu sehen!“

„Danke schön, das hilft uns weiter!“, rief Thiemig freundlich zurück.

Dagegen knurrte Spreitzhofer leise:

„Verunfallte Familie! Was ist denn das für ein Ausdruck!“

„Ein Butler eben! Der drückt sich anders aus!“, lachte Thiemig amüsiert.

„Jedenfalls trifft sich das gut, wir hatten sowieso vor, das Notfall - Unfallzentrum Universitätsklinikum St. Pölten zu besuchen, um zu sehen, ob einer oder eine der Verletzten schon vernehmungsfähig ist!“

Wieder entschied Thiemig über Spreitzhofers Kopf hinweg, als wäre er der Vorgesetzte. Johann nahm sich vor, nicht darauf einzugehen und Kurt machen zu lassen. Soll er doch! Er war fleißig und von schneller Auffassungsgabe. Er würde es noch weit bringen. Wozu ihn bremsen, solange er die richtigen Entscheidungen trifft.

 

In der Klinik angekommen gab es schlechte Nachrichten. Gabriele Rufus war verstorben, Max und Nikolaus Rückauf lagen nach wie vor im Koma und Helene Rückauf war in einen künstlichen Tiefschlaf versetzt worden.

Helene hatte durch mehrere Verletzungen viel Blut verloren, war aber außer Lebengefahr. Nikolaus hatte eine schwere Gehirnerschütterung und kleinere Verletzungen, alle nicht Lebengefährlich. An schlimmsten hatte es Max Rückauf getroffen. Er litt an einem Schädel – Hirntrauma. Er wurde operiert und rang mit dem Tod.
Es sah schrecklich aus, wie er so da lag und sein Gehirn aus den Löchern im Schädel herausquoll, nur von der Kopfhaut gehalten.
„Selbst wenn er es überlebt. Er wird vermutlich irrreparable Gehirnschäden haben! Wir mussten Teile des Schädeldaches entfernen, um der Gehirnschwellung Platz zu machen!“, meinte bedauernd der Chirurg.
Inspektor Spreitzhofer musste sich abwenden. Er fühlte ein flaues Gefühl in der Magengegend. Inspektor Thiemig blieb unbeeindruckt. In seiner Zeit als Verkehrspolizist hatte er Schlimmeres gesehen. Da kam es vor, dass Leichenteile nach Unfällen verstreut herumlagen und eingesammelt werden mussten. Er fand, dass schreiende Verletzte, die bei vollem Bewusstsein aus einem Wrack herausgeschnitten werden mussten und dabei womöglich einen Körperteil verloren, wesentlich schlimmer auf den Gemütszustand wirkten. Dieser Mann rang zwar um sein Leben, aber er merkte nichts davon. Durch sein Verschulden hatte eine Frau ihr Leben verloren. Thiemigs Mitleid hielt sich in Grenzen.

Im Krankenzimmer der Frau Helene Rückauf trafen sie auf den bekümmerten Vater, Hofrat Herbert Bachler.

„Sie ist aus der Intensivstation in dieses Zimmer verlegt worden. Sie wird zwar nach wie vor von Instrumenten überwacht, hat aber das Schlimmste überstanden. Man hat sie in einen künstlichen Tiefschlaf versetzt. Der Schädel musste nicht geöffnet werden!“

Mit dem gebrochen wirkenden Vater hatte Thiemig wesentlich mehr Mitleid. Was musste ein Vater wohl am Krankenbett seiner geliebten Tochter fühlen?

Plötzlich begann der Hofrat ungefragt zu sprechen:

„Ihre Mutter ist gestorben als sie 14 war. Ich habe versucht ihr Vater und Mutter zu sein. Dabei habe ich sie, fürchte ich, zu sehr verwöhnt.

Als meine Tochter hatte sie jeden Luxus gehabt, den man sich nur vorstellen konnte. Sie hätte diesen Max nie heiraten dürfen. Max war in meinem Unternehmen Techniker gewesen. Er war ein tüchtiger Mann.

Er hatte sie damals nicht einmal angesehen. Er hatte nichts übrig gehabt für verwöhnte Gören. Außerdem studierte er nebenbei und wollte seine Zeit nicht mit Affären vertrödeln. Damals war mir Max sehr sympathisch.

Nun aber, war Helene gewöhnt, von allen umschwärmt und angehimmelt zu werden. Dass dieser junge, attraktive Mann, sie nicht beachtete, störte sie mächtig. Sie beschloss ihn zu erobern und suchte jede Gelegenheit, dass sich ihre Wege kreuzten.

Es war ein Verhängnis

Schließlich war er mehr als nur eine Eroberung geworden. Sie hatte sich verliebt und sie wollte ihn heiraten. Ich fürchte bei Max war es mehr Kalkül. Sie war es gewöhnt, alles zu bekommen, was sie sich in dem kleinen Schädel einbildete! Schuld bin ich, weil ich ihr alle Wege ebnete!“

Er brach ab, als wäre es ihm erst jetzt bewusst geworden, dass er nicht allein war.

„Verzeihung – ich wollte sie nicht langweilen!“

„Oh! Wir sind vom LKA. Wir sind an jeder Geschichte interessiert!“, warf Spreitzhofer ein.

„Oh Polizei! Was suchen sie bei den Halbtoten?“

 Bachler versuchte wohl mit Gewalt Humor zu verbreiten, doch das ging völlig daneben und war auch angesichts der Situation nicht angebracht. Er bemerkte es auch sofort und man konnte erkennen, dass es ihm peinlich war.

„Das Unfallopfer ist gestorben. Wir hören uns im Umfeld des Unfallfahrers um. Da gibt es offenbar nur sie!“, erklärte Thiemig.

„Oh Gott…welche Katastrophe! Was kann ich für Sie tun?“

„Wir möchten sie hier am Krankenbett ihrer Tochter nicht belästigen, würden aber gerne, wenn es möglich ist, in den nächsten Tagen mit ihnen über ihren Schwiegersohn und sein Umfeld sprechen!“

Spreitzhofer staunte über Thiemigs Einfühlungsvermögen. Glatzl hätte gleich hier eine Art Einvernahme gestartet.

„Wir besuchen sie gerne bei ihnen zuhause!“

„Wenn ich ihnen irgendwie helfen kann!“

Er suchte im Terminkalender seines Handys.
„Wäre ihnen morgen Nachmittag etwa 16 Uhr recht?“

„Das wäre wunderbar. Danke für ihre Bereitschaft uns zu helfen!“

„Wir werden sie jetzt nicht weiter stören!“

Spreitzhofer konnte den Spitalsgeruch nicht mehr ertragen, deshalb beeilte er sich an die frische Luft zu kommen.

„Das hätten wir geschafft! Jetzt sollten wir uns im Hause Rufus noch einmal umsehen. Immerhin besteht der Verdacht, dass sie ermordet wurde. Mal sehen, ob es ein Testament gibt und was die Angestellten nach dem Tod ihrer Chefin zu sagen haben. Ihre Aussagen zuletzt erschienen mir etwas sparsam. Vielleicht öffnet der Tod der Chefin ihre Lippen!“
Spreitzhofer musste innerlich lächeln.

„Wir sollten einen Durchsuchungsbefehl beantragen! Immerhin könnte es sich um einen Mordanschlag handeln. Wir brauchen Hintergrundinformationen!“

Wieder hatte Thiemig es geschafft, die Route vorzugeben, ohne seinen Partner mit einzubeziehen. Er wäre der geborene Chef und das wird er auch eines Tages auch sein; davon war Spreitzhofer überzeugt. Der Mann hatte so ein eigenes Charisma. Jetzt übt er nur. Mit diesen Gedanken beruhigte sich Spreitzhofer und ließ Thiemig gewähren.

„Darf ich auch mitfahren?“, fragte er etwas provokant, doch Thiemig kapierte es nicht oder wollte es nicht kapieren.

„Was wollen sie denn sonst machen!“, sagte er nur. Damit war für ihn die Sache erledigt.

 

Die Staatsanwältin Eleonore Mayereder sträubte sich, einen Durchsuchungsbefehl zu unterschreiben.

„Was heißt das schon! Das sind Worte im Schock und Ärger ausgesprochen! Es ist doch unwahrscheinlich, dass dieser Max im Angesicht seiner Familie absichtlich einen Mord begeht!“

Damit schlug sie genau in die Kerbe des Bezirksinspektors Glatzl.

„Die Frau ist tot. Wenn, dann müssen wir schnell handeln, bevor im Haus alles durcheinandergebracht wird. Was, wenn es sich doch herausstellt, dass sie absichtlich angefahren wurde. Wenn dieser Max doch die zufällige Gelegenheit nutzen wollte. Dass die Familie dabei war, könnte Kalkül sein!“, warf Thiemig ein.

„Wieso verriss er den Wagen, was zu diesem furchtbaren Unfall führte?“, war die Gegenfrage.

„Das untersuchen wir noch, doch uns läuft die Zeit davon. Morgen kann es zu spät sein. Wenn wir nichts finden, ist doch nicht viel passiert!“

Nur ungern stellte die Staatsanwältin den Schein aus.

 

„Whow…das wäre geschafft, Ist diese Frau immer so pingelig?“, meinte Thiemig danach erleichtert.

„Es ist ihre Aufgabe abzuwägen. Außer Mutmaßungen haben wir ihr nichts geliefert. Eine Durchsuchung ist ein Eingriff in die persönliche Freiheit des Bürgers. Wäre Frau Rufus nicht tot, hätte Staatsanwältin Mayereder diesen Schein niemals unterschrieben.

Dennoch Thiemig! Ich bewundere ihre Hartnäckigkeit. Ich hätte nicht gedacht, dass sie es schaffen!“

Thiemig fühlte sich geschmeichelt. Glatzl hätte so etwas nie zu ihm gesagt. Dieser Spreitzhofer scheint ein patenter Kerl zu sein. Kurt merkte einfach nicht, wie übergriffig er gegen seinen Partner war und wie geduldig dieser sein musste, um ihn zu ertragen.

Hausdurchsuchung in der Villa Rufus.

Die Beamten mussten sich mit Gewalt Zutritt verschaffen, weil, Maria, die Haushälterin nicht bereit war, sie einzulassen. Während die Polizisten versuchten, das Tor mit Gewalt aufzubrechen, telefonierte Maria Kraft mit dem Rechtsanwalt der Frau Rufus, Dr. Michael Held. Dieser beruhigte sie und gab ihr den Rat Ruhe zu bewahren und zu sehen, ob es einen Durchsuchungsbefehl gab. Sie beruhigte sich aber nicht und drehte völlig durch, als sie erfuhr, dass Frau Rufus gestorben war. Auch der Gärtner Heinz Greber, der dazu kam, war schockiert. Man wusste zwar von dem Verkehrsunfall und dass Frau Rufus schwer verletzt war, rechnete aber nicht mit ihrem Tod.

Die Durchsuchung war eine Niete. Nichts deutete auf einen Zusammenhang mit Max Rückauf hin. Einzig den Tresor in der Bibliothek konnten sie nicht öffnen. Der Laptop würde noch eine Zeit brauchen, denn er war verschlüsselt

„Das wird der Staatsanwältin nicht schmecken!“, meinte Spreitzhofer nachdenklich.

Thiemig war da viel optimistischer:

„Das ist ein alter Tresor, mit einem Schlüssel zu öffnen. Frau Rufus müsste inzwischen in der Pathologie sein. Bei ihren Habseligkeiten wird man den Schlüssel finden!“

Thiemig war nach wie vor überzeugt noch einen Zusammenhang zu Max Rückauf zu finden.

Johann Spreitzhofer war nicht so überzeugt, hatte aber keine Lust zu diskutieren.

Sie bestellten Maria und Heinz für den nächsten Tag auf das Revier, denn Thiemig war der Meinung, dass diese Beiden bei der ersten Einvernahme möglicherweise wichtige Dinge verschwiegen haben.

„Wir besuchen noch die Pathologie. Der Schlüssel ist sicherlich bei ihren Sachen dabei. Außerdem wäre der Inhalt des Handys auch aufschlussreich.

Der Pathologe Gary Strobl wartete schon auf sie.

„Also die Sache hat sich so abgespielt. Der Wagen hat sie angefahren, dadurch schlug sie auf der Motorhaube auf und erst durch den Schwenker nach links wurde sie abgeworfen. Sie kam mit dem Schädel voraus auf, erlitt ein Schädel – Hirn – Trauma, doch die Todesursache war ein Genickbruch. Sie war nicht sofort Tot aber die Schädigung des Rücken- und Halsmarkes konnte nicht mehr unwirksam gemacht werden!“

„Das verreißen des Wagens nach links, wodurch er außer Kontrolle geriet und sich mehrmals überschlug, könnte doch darauf hindeuten, dass Max Rückauf die Kollision noch verhindern wollte!“, meinte Spreitzhofer
„Möglich ist es schon, jedoch was bedeuteten dann die Worte – Mörder, Mörder!“, Thiemigs Einwand.

„Es könnte doch wirklich sein, dass wir uns verrannt haben und Glatzl doch recht hat. Es war vielleicht einfach ein Unfall und die Angefahrene sprach die Worte im Zorn aus!“

Davon wollte Thiemig nichts wissen.

„Wir warten jetzt einmal die Auswertung des Laptops und des Handys ab. Wir haben jetzt den Schlüssel zum Tresor. Vielleicht finden wir dort etwas, was uns weiterbringt!“

Spreitzhofer seufzte.

„Er gibt nicht auf!“, dachte er, „Wenn er sich auf etwas festgebissen hat, lässt er nicht ab!“
„Ich glaube auch, dass Maria und Heinz uns noch etwas zu sagen haben. Jetzt wo die Herrin tot ist, werden sie vielleicht ihr Schweigen brechen!“, hoffte Thiemig.

„Ich habe bei der Halle angerufen. Die Spurensicherung hat am Unfallwagen nichts ungewöhnliches gefunden!“, versuchte Spreitzhofer einen Hauch von Autorität zu demonstrieren.

„Es ist also daran nichts manipuliert worden!!“

Er machte eine bedeutsame Pause.

„Selbst wenn wir einen Zusammenhang zwischen Max Rückauf und Gabriele Rufus finden ist das kein Beweis für eine absichtliche Tötungsabsicht!“

„Natürlich nicht. Doch die Worte einer Sterbenden könnten einen Sinn ergeben, den wir noch herausfinden sollten. Ich glaube nicht an ein sinnloses Geplappere im Schock oder im Zorn!“, entgegnete Thiemig stur.

 „Es reicht. Machen wir Schluss für heute. Im Moment können wir ohnehin nichts tun!“

 

Als Helene Rückauf erwachte, war sie zuerst völlig desorientiert. Der Kopf schmerzte sie sehr und sie war entsetzt, als sie merkte, dass sie an ein Krankenbett angeschnallt war. Sie hing an einem Tropf und an ihren Fingern waren Kontakte angeklebt, die zu verschiedenen Messgeräten führten. Von diesen kamen auch die leisen Piep-Geräusche und das ständige Summen. Sonst war es völlig still; offensichtlich war es Nacht. Sie hatte keine Ahnung, wie und warum sie hier gelandet war.
Was war das Letzte, woran sie sich erinnerte?

Sie waren unterwegs gewesen, um ein Pferd anzusehen, dass sie gerne kaufen wollte. Niki war auch mit und Max ist gefahren.

Das Nachdenken schmerzte sie.

Sowohl Max als auch Niki waren von der Idee nicht begeistert gewesen.

Langsam kamen die Erinnerungen an Gespräche, die sie geführt hatten….

 

„Du wirst sehen, es ist ein wunderbares Tier“ schwärmte sie ihrem Mann vor.

Max hob die Schultern. „Von Pferden verstehe ich nichts!“

„Aber ich“, warf sie ein. „Schließlich hatte ich lange Zeit eines.“ Sie lächelte. „Als ich noch bei Vater wohnte!“, fügte sie hinzu.

„Na mein Sohn, was sagst du dazu?“, fragte Max und blickte seinen Sohn durch den Rückspiegel an.

„Mutter erlaubt dir sicher auch darauf zu reiten, wenn du es möchtest.“, meinte er aufmunternd

Nik schüttelte wortlos den Kopf.

Er nahm die Puppe, die neben ihm gesessen hatte auf den Schoss. Deren Mund klappte bei jedem seiner Worte auf und zu. Niks Lippen blieben verschlossen, während seine Stimme aus dem Bauch sprach.

„Wo soll denn das Pferd untergebracht werden? Wir haben ja nicht einmal einen Stall!“, ertönte es.

„Ach, darüber mach dir mal keine Gedanken“, warf Mutter ein. „Jetzt im Sommer bleibt das Pferd ohnehin draußen auf der Wiese und bis zum Herbst werden wir schon einen Stall haben, nicht wahr Max?“

Der Vater nickte.

Helene erinnerte sich weiter:

Dann klingelte ihr Handy.

„Ach Sie sind es Heinz“ sprach sie, „und Sie haben die Ursache gefunden, warum die Teichfontäne nicht mehr sprüht? – Ach, sie funktioniert jetzt wieder—wunderbar--was sagten Sie? --- Ein Schlüssel??“

Ungläubig schüttelte sie den Kopf.

„Stell dir vor“, sagte sie zu Max, nachdem sie aufgelegt hatte, „Ein Schlüssel war schuld daran, dass der Springbrunnen nicht mehr gegangen ist. Die Algen und kleine Schmutz-Partikel, die von der Pumpe angesaugt wurden, haben den Zulauf eines Tages ganz verlegt. Heinz hat alles gereinigt und nun sprüht meine Fontäne wieder. Aber wie um alles in der Welt kommt ein Schlüssel in den Teich?“

Sie erinnerte sich an die Plötzliche seltsame Reaktion ihres Sohnes:

„Ich muss nach Hause“ sagte er plötzlich durch die Puppe und war kreidebleich geworden.

„Doch nicht jetzt, mein Schatz“ sagte Helene und drehte sich lächelnd zu ihrem Sohn um.

„Ich muss nach Hause!“, wiederholte die Puppe mit energischer Stimme.

„Wir sind in zehn Minuten am Gestüt. Ich drehe jetzt nicht um!“ entgegnete sein Vater knapp.

„Nach Hause! Nach Hause! Jetzt! Sofort!“

Niki hob die Puppe hoch die fortwährend schrie, immer dieselben Worte.

Helene erschrak als sie sich abermals umdrehte und in sein bleiches Gesicht sah. Seine Augen waren starr und weit aufgerissen, die Lippen fest zusammengepresst und die Backenknochen traten hervor.

So hatte ihr Sohn noch nie reagiert. Seit seinem 6. Lebensjahr war er stumm, jedoch durch die Puppe, die er von seinem Großvater bekommen hatte, lernte er sprechen. Es war seltsam. Er war zu einem Bauchredner geworden.

Dann geschah etwas, an das sie sich nicht mehr erinnern konnte. Das Nachdenken machte sie müde und sie schlief wieder ein.

Die Medikamente taten wieder ihre Wirkung.

 

Am nächsten Morgen war Spreitzhofer wieder mit seinem Jausensackerl unterwegs in sein Büro; als ihn ein aufgeregter Thiemig schon erwartete.

Er ließ ihm kaum Zeit, den Mantel abzulegen, geschweige denn zu frühstücken.

„Ich habe einen Zusammenhang gefunden!“, jubelte er. „Nicht nur im Tresor, wo sich herausstellte, dass Heinz Greber der Halbbruder von Gabriele Rufus ist und als einziger Nachkomme alles erbt, sondern…!“

Spreitzhofer ließ sich mitsamt Mantel und Frühstück auf seinen Stuhl hinter dem Schreibtisch fallen. Neuerlich würde er sich das Frühstück nicht nehmen lassen.

„Wir hatten es direkt vor Augen. Wir haben es nur nicht bemerkt!“, sprach Thiemig unbeirrt weiter.

Er ignorierte die aufreizende Art, wie Spreitzhofer genüsslich sein Semmerl auspackte und fest zubiss.

„Es geht um den Gärtner!“, rief Kurt begeistert.

„Der Gärtner?“

Jetzt war auch Heinrich interessiert.

„Jawohl; dieser Heinz Greber, dieser Halbbruder! Er betreut sowohl den Garten der Rufus wie auch den der Rückaufs. Wir hatten die Aussagen der Angestellten, aber die Namen blieben nicht im Gedächtnis hängen!“

Thiemig klopfte sich mit der flachen Hand auf die Stirne.

„Was aber nicht bedeutet, dass der Max Rückauf die Gabriele Rufus absichtlich anfuhr!“, so Spreitzhofer.

„Sicherlich nicht, aber wir können erforschen, wie und wodurch sie sich kannten und ob überhaupt. Ich will doch den Max nicht unbedingt zum Mörder machen, aber aufklären kann nicht falsch sein!“, meinte Thiemig zufrieden
Das Sekretariat meldete:

„Eine gewisse Maria Kraft und ein Herr Heinz Greber sind im Warteraum für sie da!“

„Lassen sie die beiden bitte jeweils in ein Besprechungszimmer bringen. Wir kommen gleich nach!“

„Ich frage nur noch bei unseren Kriminaltechnikern nach, ob sie den Laptop beziehungsweise das Handy schon geknackt haben!“

Die Antwort war negativ.

„Schade! Da hätten wir vielleicht schon ein paar Vorinformationen in Petto gehabt!“, meinte Thiemig enttäuscht.

Einvernahme von Heinz Greber, Gartengestalter bei Frau Rufus und den Rückaufs durch Inspektor Kurt Thiemig.

Thiemig: „Wieso haben sie uns verheimlicht, dass sie sowohl für Frau Rufus, als auch für die Rückaufs arbeiten?“

Greber erstaunt: „Was heißt verheimlicht? Was sollte mich veranlassen, das zu erzählen? Ich habe ihre Frage beantwortet! Da war nur von Frau Rufus die Rede und von ihrem Unfall! Sie fragten mich, was ich auf dem Grundstück der Frau Rufus zu tun hätte. Diese Frage habe ich wahrheitsgemäß beantwortet!“

Thiemig, der zugeben musste, dass Greber recht hatte:

„Wie kommt es, dass sie nicht erwähnten, dass Gabriele Rufus Ihre Halbschwester ist und sie auf beiden Grundstücken gärtnerisch beschäftigt sind?“

Greber: „Das kommt einfach daher, dass beide Grundstücke ursprünglich im Besitz des Industriellen Herrn Hofrat Herbert Bachler waren. Ich habe schon von Kindheit an gemeinsam mit meinem Vater für die Bachlers gearbeitet. Gabriele war nach dem Tod ihrer Mutter, Anna Huber, anderweitig interessiert. Wir hatten denselben Vater, aber verschiedene Mütter. Wir haben dort im sogenannten „Ausgedingehaus“ am Rande von Bachlers Anwesen gewohnt und ich wohne heute noch dort. Ich betreue alle drei Liegenschaften. Dies ist ein Vollzeit-Job. Ich werde auch nach wie vor von Herrn Bachler bezahlt. Als Kind habe ich auch oft mit Helene Bachler, der heutigen Helene Rückauf gespielt. Dass die Rückaufs an diesem Unfall beteiligt waren, habe ich erst durch Hofrat Bachler erfahren; nicht durch die Polizei!“

Es klang irgendwie wie ein Vorwurf.

 

Thiemig: „Durch den Tod ihrer Schwester erben sie ein Drittel ihres Vermögens!“

Greber: „Davon weiß ich nichts! Wer sind die anderen?

Thiemig: Musste diese Wendung erst verdauen. Seine Gedanken schlugen Purzelbäume.

Thiemig: „Das werden sie vermutlich bald erfahren.

Wie zum Teufel hängt das zusammen!“

Greber: „Den Teufel lassen sie schön aus dem Spiel! Es war die Liebe der Helene, Sie war völlig vernarrt in den Techniker ihres Vaters, nämlich Max Rückauf. Es kränkte sie, dass dieser von ihr nichts wissen wollte. Das war für ein Mädchen, der sonst alle Jungen zu Füßen lagen, unverständlich!“

Thiemig: „Schließlich hat sie es doch geschafft!“

Greber: „Das war ein Drama! Der Papa war völlig dagegen. Erst als sie durch Max schwanger war, gab er nach. Doch Max wollte nach wie vor nichts von ihr wissen. Sie war ein hübsches Mädchen und ihren Avancen hatte er nichts entgegenzusetzen.

Für Sex hatte es gereicht; aber heiraten? Nein!“

Thiemig: „Eine Liebesheirat war das dann nicht!“

Greber: „Ein Uneheliches Kind? In dieser Familie? Das war für Bachler nicht vorstellbar. Jetzt drängte der Hofrat den Max, die von ihm geschwängerte Tochter doch zu heiraten. Ich habe keine Ahnung, womit er Max noch köderte, aber die beiden Grundstücke waren ein Teil davon!“

Thiemig: „Beide Grundstücke?“

Greber: „Das ist ja das nächste Drama! Max war seit Jahren Gabrieles Liebhaber, schon zu einer Zeit, als es noch deren Gatten, Herrn Florian Rufus gab. Max war zwar offiziell mit Helene verheiratet, hatte aber Gabriele nie aufgegeben!“

Thiemig: Entsetzt: „Und Helene? Wusste sie davon?“

Greber: „Ganz klar war uns das nie. Spätestens als Gabrieles Ehemann eines Tages spurlos verschwand, wurde es offenbar, denn Max verkaufte oder vermietete, so genau weiß das keiner, die Villa, in der Gabriele nun bis zu ihrem Tod lebte!“
Thiemig: „Das ist ja ungeheuerlich! Da tun sich ja Abgründe auf!“

Greber: „Das kann man so sagen! Der Bachler tobte, doch er konnte nichts machen. Er hatte ihm die Liegenschaften übertragen; mit allen Rechten!“

Thiemig: „Was war mit Helene? Wie hat sie das aufgenommen, denn offensichtlich sind sie noch immer verheiratet!“

Greber: „Sie kümmert sich um das Kind, das etwas eigenartig ist. Es musste im Kindesalter etwas erlebt haben, das ihm die Sprache raubte. Nikolaus, den alle nur Nik nennen, ist stumm, aber nicht ganz stumm, denn er spricht durch eine Puppe!“

Thiemig: „Eine Puppe? Wie das?“

Greber: „Es ist eine Bauchrednerpuppe und er benutzt sie genauso. Er ist ein Bauchredner im wahrsten Sinn des Wortes! Die Stimme klingt zwar etwas seltsam, aber man kann die Worte verstehen. Er hat die Puppe von seinem Opa, dem Hofrat geschenkt bekommen! Er und sein Enkel verstehen sich bestens. Sonst hat der Junge kaum mit jemanden Kontakt. Helene wieder, genießt ihren Reichtum. Sie spielt Tennis, reitet und macht Wellness. Sie tut, als wüsste sie nichts von Gabriele, aber möglicherweise haben Max und sie das so ausgemacht! Vermutlich wegen der Leute und dem Ruf der Bachlers!“

Thiemig: „Unglaublich! Danke Herr Greber für die ausführlichen Wendungen und unser herzliches Beileid zum Tod ihrer Schwester. Sie haben vieles klar gemacht!“

 

Einvernahme von Frau Maria Kraft, Haushälterin bei Frau Gabriele Rufus durch Revierinspektor Johann Spreitzhofer

Spreitzhofer:  „Sie wissen schon, dass sie sich strafbar gemacht haben. Sie haben einen Polizeieinsatz behindert!“

Maria: „Sie spinnen wohl. Wer hat hier was behindert! Ich hatte keine Erlaubnis, sie einzulassen. Sie kommen hier an, mit einem Truppenaufgebot wie für den 4. Weltkrieg und erwarten offene Türen? Was sie gemacht haben ist Polizeiterror. Genau so wird es auch in den Zeitungen und im Internet stehen! Dafür werde ich sorgen! Sie haben brutal bei uns eingebrochen und dabei eine kostbare Haustüre beschädigt. Seien sie froh, dass ich keine Waffe im Haus hatte, sonst hätte ich sie davongejagt wie einen Haufen Hühner! Noch während sie sich mit Gewalt an dem handgeschnitzten Haustor zu schaffen gemacht haben, rief ich den Rechtanwalt der Frau Rufus an, der mir mitteilte, dass es einen Durchsuchungsbefehl geben müsste!“

Spreitzhofer: Wir hatten einen solchen Befehl!“

Maria: „Aha! Und wann hatten sie vor, mir den zu zeigen? Was stellen sie sich vor, wie man reagiert, wenn sie wie eine wilde Horde vor der Türe stehen. Meine Aufgabe ist es. Das Haus zu schützen, wenn Frau Rufus nicht zugegen ist!“

Spreitzhofer: „Wir haben uns klar deklariert! Verdammt! Wir sind die Polizei. Wir dürfen das!“

Maria: „Ja verdammt – Es fehlt ihnen an Feingefühl und Bürgernähe. Allein die Art und Weise, wie sie mich mit dem Mord an unserer Gabriele konfrontiert haben. Haben sie denn überhaupt keine Hemmungen, sich zu benehmen wie ein Elefant im Porzellanladen oder dachten sie, Ich hätte Frau Rufus getötet?“

Spreitzhofer: Schon etwas genervt: „Sie haben uns den Zutritt verweigert. Wir haben nur getan, was unsere Pflicht ist!“

Maria: „Mich hätte vor Aufregung der Schlag treffen können. Ich war nahe daran! Was hätten sie denn dann getan? Haben sie auch einen Notarzt dabei; so wie sie vorgehen?“

 

Maria hatte sich so in Rage geredet, dass sie am ganzen Körper zitterte und dann über den Tisch gebeugt zu schluchzen begann. Das war nun etwas, was dem Revierinspektor zu schaffen machte. War er etwas zu forsch gewesen? So hatte er sich die Einvernahme nicht vorgestellt!

Spreitzhofer: „So beruhigen sie sich doch!“

Maria: Sprang plötzlich auf und musste von der anwesenden Polizistin in den Sessel zurückgedrückt werden:
„So beruhigen sie sich doch! Das waren genau ihre Worte, als ich nach ihrer lieblosen Ankündigung vom Tod meiner Chefin einen Nervenzusammenbruch erlitt!“

Spreitzhofer: Bekam es nun langsam mit der Angst zu tun. Einen neuerlichen Nervenzusammenbruch wollte er nicht riskieren.

Zu seiner Beruhigung kam in diesem Augenblick Thiemig, der mit seiner Befragung fertig war, durch die Tür.

Thiemich: „Was ist denn hier los? Ist etwas passiert?“

Spreitzhofer: Ärgerlich: „Frau Kraft bockt, weil sie mit der Art unsere Hausdurchsuchung unzufrieden ist!“

Thiemich: Freundlich, fast überschwänglich: „Frau Kraft! Ich begrüße sie! Schön, dass sie Zeit gefunden haben zu uns zu kommen. Wir wollen nichts Böses! Wir brauchen nur ein paar Hintergrundinformationen, die nur sie uns geben können! Wenn sie dazu nicht in der Lage sind, können wir das auf einen anderen Zeitpunkt verschieben!“

Diese Worte wirkten Wunder. Maria blickte auf, warf einen bösen Blick auf Spreitzhofer und sagte:

Maria: „Schön zu wissen, dass es auch noch eine andere Art Polizisten gibt. Ich werde ihnen alles sagen, was sie wissen wollen!“

Thiemig: Zu der wachhabenden Polizistin gewandt:

„Bitte organisieren sie für die Dame eine Schale Kaffee und ein Glas Wasser!“

Spreitzhofer: Verließ völlig verwundert, leise den Raum, um im Nebenraum die weitere Einvernahme durch den Spiegel zu beobachten.

Thiemig: „Liebe Frau Kraft. Es tut uns leid, wenn wir sie bedrängt haben. Bitte verstehen sie doch. Frau Rufus letzte Worte waren „Mörder! Mörder!“

Sie kannten sie doch sicher am besten. Haben sie eine Ahnung, wen sie gemeint haben könnte?“

Maria: „Nein! Das ist sehr ungewöhnlich!“

Thiemig: „Kann es ein, dass es im Moment des Zusammenstoßes einfach aus Ärger oder Wut aus ihr herausrutschte? Neigte sie zu solchen Gefühlsausbrüchen?“

Maria: „Das habe ich bei ihr noch nie erlebt! Sie war selbst bei unangenehmen Situationen gefühlsmäßig immer eher gefasst!“

Thiemig: „Falls doch…; haben sie möglicherweise einen Verdacht wen sie meinen könnte? Gab es Auseinandersetzungen; und wenn…, mit wem?“

Maria: Zögerte… „Man spricht normalerweise nicht schlecht über Verstorbene… aber…“

Thiemig: „Aber?“

Maria: „Gabriele war keine gute Frau! Ich kann mich als Angestellte nicht beschweren – aber ihr Lebenswandel war schon sehr ausschweifend!“

Thiemig: Verzeihung – was verstehen sie unter ausschweifend; nur damit wir darunter das Gleiche verstehen!“

Maria: „Ich war schon Haushälterin bei Florian Rufus, als sie noch nicht verheiratet waren. Gabriele hat ihn nur aus Gier nach seinem Geld geheiratet!“
Thiemig: „Was bringt sie zu dieser Vermutung?“

Maria: „Noch während sie mit Florian flirtete, hatte sie einen festen Freund, mit dem sie sich heimlich traf!“

Thiemig: „Kennen oder kannten sie den geheimnisvollen Freund?“

Maria: „Da war nichts Geheimnisvolles! Florian bekam das mit! Es gab auch Auseinandersetzungen. Sie traf sich mit diesem Mann selbst noch, als dieser auch geheiratet hatte. Er heiratete, weil er diese Frau schwängerte. Liebe war das nicht, aber es machte ihn reich, wodurch er für Gabriele interessant blieb!“

Thiemig: „Ist es möglich, dass dieser Mann Max Rückauf hieß?“

Maria: Erstaunt: „Sie kennen den? Er ist seit fast 20 Jahren Gebrieles Liebhaber!“

Thiemig: Zu sich selber: „So fügt es sich zusammen!“

Maria: „Als sich Florian Rufus dazu entschloss, sich scheiden zu lassen, verschwand Florian spurlos und kehrte nicht wieder. Angeblich ein Segeltörn, bei dem er allein segelte. Niemand wollte das glauben!“

Thiemig: „Man hat eine Gewalttat vermutet?“

Maria: „Gabriele und auch Max waren in Verdacht! Aber ohne Leiche? Sie wurde nie gefunden!“

Thiemig: „Danke vielmals Frau Kraft, sie haben uns sehr geholfen. Ihre Aussagen waren sehr aufschlussreich! Falls wir noch mehr Informationen brauchen; werden sie uns zur Verfügung stehen?“

Maria: „Selbstvertändlich. Für sie immer – aber ihr Kollege? Pha...“

Und sie rauschte ab.

Inspektor Spreitzhofer kam aus dem Beobachtungsraum und war fassungslos.

„Es ist ja unglaublich, wie sie das gemacht haben!“

„Böser Bulle, guter Bulle! Funktioniert immer wieder!“, lachte Thiemig.

„Wie es scheint, haben wir jetzt tatsächlich einen Fall. Ihre Sturheit hat sich gelohnt!“

Thiemig nickte geschmeichelt.

 

Henriette Riedl aus dem Sekretäriat meldete, dass die Techniker das Passwort von Frau Rufus Laptop nicht entschlüsseln konnten „Sie sagten sowas wie doppelte Verschlüsselung. Aber das Handy ist bereit!“

Die Durchsicht der Verbindungen des Handys ergab, dass es offenbar nur zum Telefonieren benutzt wurde.
Hauptsächlich wurden zwei Nummern angerufen, das zu ungewöhnlichen Zeiten und ungewöhnlich lange.

Die Nummern waren, die eines Rechtsanwaltes Dr. Michael Held und wie vermutet Max Rückauf.

Nun ist es nichts Ungewöhnliches, mit seinem Rechtsanwalt zu telefonieren. Ungewöhnlich waren nur die Uhrzeiten der Telefonate. Oft zwischen 22 Uhr und drei Uhr früh. Frau Rufus hatte offensichtlich auch ein Techtelmechtel mit ihrem Rechtsanwalt. Ebenso klar war auch, dass Maria Kraft davon wissen musste. Das erste, was ihr bei der Hausdurchsuchung in den Sinn kam, war Dr. Held anzurufen. Von Michael Held hatte sie aber nichts erzählt. Seltsam!
Die Telefonate mit Max Rückauf verliefen ganz ähnlich, nur in Letzter Zeit wurden sie weniger. Es war offensichtlich, dass Held die größere Aufmerksamkeit bekam.
Dann stutzten sie. Dazwischen waren mehrere längere Anrufe von Helene Rückauf. Was hatte das zu bedeuten. Es war keine Frage, dass sie einander kannten. Bloß – was hatten sie so viel zu besprechen. Sie waren doch Rivalinnen!

 

„Es ist Zeit, wir müssen zu Bachler!“ erinnerte Thiemig.

„Der wird uns jetzt kaum noch was Neues erzählen!“

„Doch, doch! Wir wissen noch kaum noch etwas über Nikolaus und sein seltsames Faible für Bauchrednerpuppen!“

 

Bei Bachlers wurden sie freundlich aufgenommen. Man führte sie in die Bibliothek. Thiemig konnte es kaum fassen. Dieser Raum war fast so groß wie seine gesamte Wohnung, Vorzimmer, Zimmer, Küche, Bad und Wohnzimmer eingeschlossen. Eine riesige Ledergarnitur mit einem, nahezu klein wirkenden Tisch, teilte den Raum in zwei Teile. Auf der anderen Seite, von zwei riesigen Fenstern getrennt, ein Schreibtisch mit den üblichen Geräten wie Computer, Drucker, großer Bildschirm und unordentlich verstreute Dokumente. Es war klar: Hier wurde gearbeitet. Sonst wie in Bibliotheken üblich, Regale bis an die Decke mit Büchern gefüllt.  Dazwischen Bilder, von denen Thiemig annahm, dass sie nicht billig sein würden. Auch Spreitzhofer blickte fast ehrfürchtig herum. Sie lehnten Bewirtung ab.

Hofrat Bachler schien sehr beschäftigt zu sein. Er legte das Handy mit vielen Entschuldigungen zu Seite und ließ die Beamten auf der Couch platz nehmen.

 

Unterredung mit Hofrat Herbert Bachler Großindustrieller

„Wie geht es den Patienten?“, eröffnete Thiemig das Gespräch.

„Danke der Nachfrage. Ich habe eben erfahren, dass meine Tochter kurz erwacht ist, dann aber wieder einschlief. Der künstliche Schlaf wird beendet werden! Es scheint ihr, soweit man es beurteilen kann, gut zu gehen. Jedenfalls ist sie stabil!

Nick und Max liegen noch im Koma!“

Die Frage nach den Patienten war natürlich nur eine Floskel, denn die beiden Beamten waren ja zuvor im Krankenhaus gewesen.

„Was also kann ich für sie tun?“

„Wir würden gerne mehr über das Verhältnis der Familienmitglieder zueinander von kompetenter Seite erfahren. Alles, was wir bisher in Erfahrung bringen konnten, waren Vermutungen!“

„Ist es tatsächlich so, dass ihr Schwiegersohn neben Ihrer Tochter eine langjährige Geliebte hat?“
Für diese Frage bekam Spreitzhofer von Thiemig einen bösen Blick zugeworfen. Aber es war natürlich zu spät. Aber wie konnte man nur so unsensibel Auskünfte einholen wollen.

Der Hofrat ging auf die direkte Frage nicht ein.

Wie vor dich her sinnend sagte er, fast wie abwesend:

„Der Max war als Techniker ein Koryphäe, deshalb habe ich ihn zum Leiter der österreichischen Betriebsstätten gemacht. Das managt er auch ordentlich. Als Mensch ist er für uns eine große Enttäuschung!“

„Sie haben ihm doch ihre Tochter zur Frau gegeben!“

„Sie wollte ihn unbedingt haben. Ließ sich von ihm schwängern, doch das war nicht in seinem Sinn. Es kostete mich viel Geld, Grundstücke und Überredung, dass wir der Schande eines unehelichen Kindes nicht ausgesetzt wurden. Liebe war von seiner Seite nie vorhanden, Gier aber schon!“

„Würden sie ihm zutrauen, dass er seine langjährige Geliebte bewusst angefahren hat?“

„Denke ich nicht! Er hat immer alles für sie getan. Er hat sie sogar gegen unseren Willen in eines unserer Häuser eingenistet!“

„Wie ist ihre Tochter mit dieser Situation klargekommen?“

„Es war ganz eigenartig! Sie freute sich einfach über das Kind und nahm den Vater wie er war. Sie wollte bloß nicht, dass es bekannt wird. Sonst genoss sie einfach ihr Leben. Max spielte nicht viel Rolle darin! Sie wollte nur keine Schande! Sie spielten beide nur eine Komödie, das aber sehr gut. Ich kann das alles nicht verstehen. Vermutlich bin ich zu alt!“

„Apropos Kind! Da läuft auch manches nicht so glatt, wie wir hörten!“
Spreitzhofer wollte nicht warten, bis der Hofrat von selbst auf Nik zu sprechen kommen würde.

Der Hofrat stöhnte auf.

„Ich weiß es nicht! Bis zu seinem 6. Lebensjahr war er ein aufgeweckter allseits interessierter Junge. Dann ist irgendetwas passiert, was ihn völlig aus der Bahn warf. Von einem Tag auf den anderen wollte er nicht mehr sprechen und war völlig desinteressiert an all den Dingen, die er bis dahin liebte. Die Psychiater meinten, er müsste ein furchtbar traumatisches Erlebnis gehabt haben, doch niemand konnte sich erklären, was das sein könnte. Einen Missbrauch konnten die Gelehrten ausschließen. Da er jedes Gespräch verweigerte, man aber den Eindruck hatte, er könnte, wenn er wollte, kam ich durch einen Freund auf die Idee, ihm eine Bauchrednerpuppe zu schenken.

„Das hat funktioniert?“, fragte Thiemig verwundert.
„Anfangs nicht! Wir wollten schon aufgeben. Doch er gab sie nicht mehr her. Er nahm sie überall mit. Inzwischen hatte er jeden Kontakt zur Außenwelt verloren!“

„Sie wurde zu seinem einzigen Freund?“, wunderte sich auch Spreitzhofer.

„Neben der Puppe wurde ich zu seinem besten Freund. Ich verbrachte jede freie Minute mit ihm, dennoch sprach er bis zu diesem Zeitpunkt nie wirklich mit mir!“

„Das muss doch frustrierend sein!“
„Nun – ich brachte ihn immerhin zum Lachen! Wir hatten eine Menge Spaß. Mit mir lernte er. Das war nötig, denn er boykottierte die Schule.
Eines Tages beobachtete ich ihn heimlich, wie er über die Puppe laut in einem Buch las. Der Klang war zwar sehr eigenartig, aber man konnte einzelne Wörter verstehen!“

„Das war ein Durchbruch für alle!“
„Er sprach durch die Puppe, ohne die Lippen zu bewegen!“

„Wie ein Bauchredner!“
„Genauso!“
„Haben sie herausfinden können, was er so Schreckliches erlebt hat?“

„Nein absolut nichts – er verstummte sofort und war nicht ansprechbar, sobald wir danach fragten. Also wurde uns klar, dass er nicht sprechen würde. Selbst die teuersten Psychiater konnten nicht helfen und schließlich haben wir uns damit abgefunden. In eine Anstalt wollten wir ihn nicht geben. Er wirkt wie ein Autist mit mittlerweile 16 Jahren. Doch die 3D – Drucker interessieren ihn. Vielleicht wird er doch noch mein Nachfolger. Die Hoffnung hört nicht auf!“

„Herr Hofrat Bachler! Wir danken ihnen, dass sie sich die Zeit genommen haben. Wir hoffen, dass wir bald die Gelegenheit haben werden, mit dem Rest der Familie zu sprechen und die Geschehnisse zu klären!“

 

Schweigend erreichten sie das Präsidium, stiegen in ihre Autos und beendeten diesen Tag. Jeder war in seine Gedanken versunken.

In Spreitzhofers Gedanken geisterte das seltsame Verhalten der Helene, während Thiemig geistig mehr mit den Eigenarten von Nik beschäftigt war.

Keiner von Beiden hatte im Moment Lust, darüber zu sprechen.

 

Am nächsten Tag erhielten sie einen Anruf von Heinz Greber. Es war ihm noch etwas vielleicht Entscheidendes eingefallen.

Telefonische Aussage von Heinz Greber

„Das Geschehnis liegt allerdings schon an die 10 Jahre zurück, deshalb ist es mir nicht eingefallen.

Nämlich der Tag, an dem Nikolaus aufgehört hatte, zu sprechen!“

„Das ist ja hochinteressant wir konnten bisher dahingehend keine Informationen bekommen!“, freute sich Thiemig.

„Es ist mir auch völlig entfallen. Es war der Tag an dem Niki das Wasser aus dem Teich auslassen wollte, weil er etwas gesucht hatte. Ich glaube, ich weiß jetzt was es war!“

„Wie können sie das jetzt nach zehn Jahren wissen!“

„An dem Tag, als das Unglück mit Gabriele und den Rückaufs geschah, reinigte ich den Teich, weil der Hochstrahlbrunnen nicht funktionierte. Schuld war neben Verunreinigungen ein Schlüssel, der von der Pumpe angesaugt wurde und so die Ansaugöffnung verlegte.
Damals vor 10 Jahren suchte Nicki vielleicht nach diesem Schlüssel. Darum wollte er den Teich entleeren. Sein Vater kam dazu. Er war so sauer, dass er Nicki eine Ohrfeige versetzte.  Er wollte seine kostbaren Koi retten. Der Junge rutschte aus, fiel hin und schlug sich den Kopf an. Der Vater bemerkte es nicht und wäre ich nicht dazugekommen, wäre Niki vielleicht ertrunken. Jetzt erst ist mir klar geworden, dass Niki von da an nicht mehr sprach. Warum auch immer!“

„Was war das für ein Schlüssel? Haben sie eine Ahnung?“

„Das kann ich leider nicht sagen, aber ich habe den Schlüssel aufgehoben.!“

„Sie sagen, seit diesem Vorfall hatte Nikolaus nicht mehr gesprochen?“

„Ja! Je länger ich darüber nachdenke, desto sicherer bin ich mir. Unglaublich, was so ein Schlag auf den Kopf bewirken kann!

Ich weiß natürlich nicht, ob das etwas zu bedeuten hat. Der Unfall passierte unmittelbar nachdem ich der Helene mitgeteilt hatte, dass ich den Schlüssel gefunden habe. Ich war noch am Handy, als es krachte. Ja ich glaube auch, Niki gehört zu haben, selbst wenn er schwer zu verstehen war, „der Schlüssel. der Schlüssel, nachhause, nachhause“, dann krachte es und die Verbindung brach ab!“

„Das haben sie uns gestern aber nicht gesagt!“, meinte Spreitzhofer vorwurfsvoll.

„Jetzt hat er sich doch erinnert!“, verteidigte Thiemig den Gärtner.

„Wir danken. Das war sehr aufschlussreich!“

„Warum war der Schlüssel für den Jungen so wichtig!“

„Ja – vor allem noch nach 10 Jahren!“

„Wir hoffen, wir können es noch erfahren, wenn er aus dem Koma erwacht!“

„…und mit uns spricht!“. Ergänzte Thiemig.

Der Rest des Vormittags verging damit, Berichte zu schreiben.

Auch die Staatsanwältin Eleonore erwartete Bericht.

„Da ist nicht viel dabei herausgekommen!“, schüttelte sie den Kopf, „ich habe ihnen doch gesagt, dass ihr Verdacht dünn ist!“

„Aber es gibt doch einen Zusammenhang des Unfallfahrers mit dem Unfallopfer!“, ereiferte sich Thiemig, „das Leben der beiden Familien ist eng verbunden; und das auf seltsame Weise!“

„Das schon – aber das Meiste hat nichts mit dem Unfall oder einem Mord zu tun. Das kann auch Zufall sein!“, so die Staatsanwältin zweifelnd.
„Natürlich! Wir arbeiten ja noch daran. Wir haben ja kaum jemanden, der uns Rede und Antwort stehen kann! Hier ist ein wenig Geduld vonnöten. Unsere möglichen Zeugen befinden sich im Koma!“

Frau Mayereder klappte seufzend die Mappe zu.

„Ich glaube nach wie vor, dass sie sich da verrennen. Hoffentlich erwachen ihre Zeugen bald aus dem Koma!“ Der letzte Satz war sichtlich ironisch gemeint.

Thiemig war das egal. Er war nach wie vor der Meinung einer Sauerei auf der Spur zu sein. Für ihn gab es da nämlich noch den Florian Rufus, dessen Verschwinden noch nicht geklärt war. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass beide Fälle zusammenhängen könnten. Florian Rufus verschwand genau zu der Zeit, als Nikolaus stumm wurde. Das konnte Zufall sein – oder auch nicht.

Spreitzhofer war überhaupt nicht seiner Meinung:

„Ich bitte sie, komplizieren sie doch bitte den Fall nicht noch mehr!“, war seine Stellungnahme, obwohl er wusste, dass sich Thiemig in seine Ideen festbeißen würde.

 

Dann kam der Anruf, der viel änderte!

Der Hofrat Bachler war am Handy. Er war ganz aufgeregt:

„Es war ganz eindeutig ein Unfall!“, platzte er los, „ich bin so froh!“

„Wie das plötzlich?“, meinte Spreitzhofer, böses ahnend.

„Ich war bei meiner Tochter. Sie ist erwacht! Sie erinnert sich zwar nicht an den Unfall selbst, doch ganz genau an die unmittelbare Zeit davor. Schuld an dem Unfall, war ihrer Meinung nach, das seltsame Verhalten meines Enkels. Als er hörte, dass ein Schlüssel im Teich gefunden wurde, schien er völlig durchzudrehen. Er war wie von Sinnen und wollte sofort nach Hause! Als Max dies ablehnte, begann er mit der Puppe zu toben und zu schreien.  Max, dadurch vom Verkehr abgelenkt, übersah die Fußgängerin, diese Gabriele!“

„Das könnte so gewesen sein!“, war Spreitzhofer nicht völlig überzeugt, „ebenso könnte ihre Tochter ihren Mann schützen wollen. Wer will schon mit einem Mörder verheiratet sein. Das ist schlimmer als ein uneheliches Kind! Außerdem wäre sie auf diese Weise eine Nebenbuhlerin losgeworden!“

Bachler schnaufte…! „Ich hielt es für meine Pflicht, sie darüber zu informieren. Ich dachte es wäre in ihrem Sinn!“, und legte auf, ehe Spreitzhofer sich bedanken konnte. Man merkte – er war sauer.

Da kam Thiemig hereingestürzt.

„Verdammt! wo waren sie den ganzen Vormittag! Hier war die Hölle los!“, empfing ihn Spreitzhofer gereitzt.

„Die Hölle bringe ich mit!“, tönte Thiemig fröhlich.

„Ich war in der KTU. Die haben den Laptpop der Rufus letzten Endes doch geknackt. Interessant, was man hier liest und hört. Das ist schon eine doppelte Absicherung Wert!“

„Zum Teufel was…!“

„Jetzt hören sie schon auf mit – verdammt – Teufel – und Hölle, sonst landen sie noch dort: in der richtigen Hölle. Man soll solche Dinge nicht leichtfertig verschreien!“

Thiemig hielt sich für witzig.

Spreitzhofer fand das gar nicht. Er brannte darauf, die Erkenntnisse des letzten Anrufs zu erzählen. Es gab keinen Mordfall. Es waren einfach unglückliche Umstände!

Zu seiner Enttäuschung reagierte Thiemig kaum.

„Wir brauchen den Unfall nicht, um einen Fall zu haben. Es gibt einen Zusammenhang mit einem ungeklärten Todesfall vor 10 Jahren.

Inspektor Gratzl hatte mich ursprünglich dazu verdonnert, alte, ungelöste Fälle zu bearbeiten. Nun, ich war im Archiv und habe mir den ungelösten Fall Florian Rufus ausheben lassen. Seine Leiche wurde nie gefunden. Aber in seinem Umfeld tauchen alle unsere jetzigen Verdächtigen auf.

Alle hätten sie ein Motiv, ihn zu beseitigen!“

Spreitzhofer saß mit offen Mund da und konnte seinen Ärger nicht länger unterdrücken.

„Was bilden sie sich eigentlich ein! Wir arbeiten zusammen an dem Fall. Sie verschwinden und lassen mich völlig im Unklaren, wo sie sind und was sie tun!

Sie wissen schon, dass ich ihr Vorgesetzter bin!? Sie haben mich von allem, was sie vorhaben, zu unterrichten und meine Zustimmung abzuwarten! Nicht erst im Nachhinein!!“

„Verzeihung! Ich dachte, dass sie anders sind als Inspektor Glatzl. Doch sogar er stellte fest, dass ich einen kriminellen Instinkt bezw. Riecher habe. Ich bin nur einer Idee nachgegangen.

Ich habe sie sehr wohl davon informiert, doch sie haben nur abgewinkt. Davon lasse ich mich aber prinzipiell nicht beeindrucken. Ich habe auch nicht unbedingt die Absicht, sie zuvor über jeden meiner Schritte zu informieren, weil ich viele Dinge instinktiv aus dem Bauch heraus entscheide und es oft keine Zeit mehr für Erlaubnisfragen gibt oder der falsche Zeitpunkt dafür ist.

Wenn sie also unbedingt den Vorgesetzten raushängen wollen, dann folgen sie einfach meinen Schritten!“

Jetzt reichte es Spreitzhofer:

„Ich sehe schon ein…! Sie möchten gern ein Freigeist sein, doch sie sind hier bei der Kriminalpolizei! Hier herrscht eine gewisse Ordnung! Wir sind Partner. Ich habe sie mir nicht ausgesucht und umgekehrt. Ich möchte über ihre Aktivitäten informiert oder dabei sein. Als Vorgesetzter muss ich mich für alles was sie tun, verantworten. Bauchgefühl hin, Instinkte, her! Entweder zusammen oder mit Vorberichterstattung und meinem Einverständnis. Habe ich mich klar ausgedrückt!?“

 

Thiemig war beeindruckt. So eine Ansprache hatte nicht einmal der Bezirksinspektor Glatzl ausgeworfen! …und dieser geizte nicht mit Zurechtweisungen! Dennoch war Thiemig nicht bereit so einfach nachzugeben. Er versuchte dem verärgerten Partner die Ergebnisse seiner Computerrecherchen zu erzählen, in der Hoffnung, ihn dadurch gnädiger zu stimmen.


Doch mit Spreitzhofer war im Moment nicht zu sprechen. Er machte sich auf, um mit Glatzl und der Mayereder zu reden.

Staatanwältin Mayereder sah sich in Ihrer Meinung bestätigt und gab den Auftrag, die Ermittlungen einzustellen und den Fall an die Verkehrsabteilung weiterzugeben.

„Sie machen einen Fehler!!“, rief ihm Thiemig nach. Dann kam der Trotz in ihm hoch. Er setzte sich hin und studierte Rufus Laptop.

Bezirksinspektor Glatzl rief ihn eine halbe Stunde später zu sich.

„Ihre Zusammenarbeit mit Revierinspektor Spreitzhofer ist beendet!“, teilte er mit.

„Sie erhalten das Büro am Ende des Ganges rechts und als Partner Inspektor Albin Tanzer. Dieser ist neu in der Mordgruppe.

Eigentlich war er für die KTU vorgesehen, denn er ist eigentlich ein Computersachverständiger, aber der Platz wird erst später frei. Hier können sie sich als Chef bewähren und gehen uns nicht auf die Nerven. Ich habe gehört, sie wollen einen ungeklärten Fall neu aufrollen. Das ist genau der Auftrag, den der Leutnant Matzinger uns gegeben hat. Sie haben freie Hand, berichten mir aber regelmäßig. Haben sie verstanden?“

 

Natürlich hatte Thiemig verstanden. Er war sich nicht sicher, ob das eine Bestrafung sein sollte. Natürlich – er bekam ein kleineres Büro, verlor die Sekretärin und Prestige. Aber er bekam Aufsicht über einen Neuling, was Verantwortung nach sich ziehen würde. Das wiederum war ihm sehr recht, denn diesen Mann würde er sich zurecht richten.
Als er sein neues Büro betrat, in der einen Hand den Laptop, in der anderen einen Stoß Akten aus dem Fall Rufus, dessen Leiche nie gefunden wurde, wartete Inspektor Albin Tanzer schon gespannt auf ihn.

Man hatte ihn vorgewarnt, dass Thiemig unmöglich sei und eine Zusammenarbeit mit ihm sehr schwer sein würde.

Als nun Thiemig fröhlich lächelnd den Raum betrat, machte er auf Tanzer alles andere, als einen schwierigen Eindruck.

Thiemig warf die Akten auf den Schreibtisch und stellte vorsichtig den Laptop ab. Er war euphorisch und voller Tatandrang. Er ließ sich nicht viel auf Begrüßung ein. Er drückte dem erstaunten Mann die Hand und sagte: „Kommen sie! Wir haben wenig Zeit und machen einen Spitalsbesuch!“

Gehorsam nahm Inspektor Albin Tanzer seinen Mantel und lief hinter dem voraneilenden Thiemig her.
„Wir haben nicht viel Zeit, denn es ist schon spät und ich möchte diese Zeugenaussage noch heute bekommen!“

Tanzer durfte fahren. Thiemig erklärte ihm in kurzen Worten, woran sie beide arbeiten würden. Auch den Zusammenhang mit dem Unfall, den er in den neuen Fall mitnehmen wolle.

Albin lernte sehr schnell das Tempo kennen, mit dem der Inspektor vorging. Nun konnte er sich vorstellen, dass er sich damit bei den älteren Mitarbeitern keine Freunde machte.

 

Die Frau Helene Rückauf war wach, aber laut dem behandelnden Arzt sehr schwach und sie würde sehr schnell müde werden, deshalb bat er um eine kurze Unterredung.

„Frau Rückauf! Sie haben ihrem Vater erzählt, dass ihr Sohn Nik seltsam reagierte, als er von dem Schlüsselfund des Gärtners hörte!“

„Ich war besonders entsetzt, mit welch bösen Blicken sich Nik und sein Vater über den Rückspiegel gemessen haben. Dann hat es aber schon gekracht, Max verriss den Wagen. Ich sah nur das entsetzte Gesicht der Gabriele Rufus, die auf der Motorhaube gelandet war und durch den Schwenker auf der Seite herunterknallte. Dann landeten wir im Straßengraben!“

„Dann war der Vater durch den Augenkontakt mit dem aufmüpfigen Sohn abgelenkt. Er sah in diesen Momenten nicht auf die Straße?“

„So ist es. Er übersah Gabriele. Sie war die Fußgängerin. Ich hatte sogar den Eindruck, dass sie, weil sie das Auto kannte, bewusst darauf zulief. Möglicherweise wollte sie mit uns sprechen!“

„Sie kannten Frau Rufus?“

„Ja! Durch meinen Mann über ihren Mann. Die beiden hatten irgendwelche Projekte miteinander. Das war, bevor mein Vater ihn zum Leiter der österreichischen Betriebsstätten gemacht hatte!“

„Haben sie eine Ahnung welcher Art die Projekte der Beiden waren?“

„Florian Rufus war so etwas wie ein Software-Entwickler. Strategische Spiele oder sowas ähnliches. Er machte anscheinend eine Menge Geld damit und war international tätig!“

„Heinz Greber, der Gärtner erzählte uns, dass Nikolaus mit etwa sechs Jahren den Teich auslassen wollte, weil er einen Schlüssel suchte, aber nach einer kräftigen Ohrfeige seines Vaters stürzte und dabei kurze Zeit bewusstlos wurde. Er soll danach seine Stimme verloren haben!“

„So war es! Der Arzt stellte nur eine leichte Gehirnerschütterung fest. Auch die Zeit danach konnte keiner der Ärzte seinen Stimmenverlust erkläre. Sie meinten, das würde sich mit der Zeit gebe. Nun sind aber bereits 10 Jahre vergangen!“

„Es könnte doch sein, dass durch den neuerlichen Kopfstoß seine Stimme wiederkommt.

Sie wurde müde, schloss immer wieder die Augen.

„Ihr Wort in Gottes Ohr.“, flüsterte sie, „wenn er aus dem Koma erwacht – falls er erwacht!“

„Das wird er ganz sicher!“ beeilte sich Thiemig zu sagen.

Helene lächelte nur leicht und schlief ein.

Die Beamten beendeten die Befragung.

„Was meinen sie! Ist es möglich, dass ein Schlag auf den Kopf so eine durchschlagende Wirkung hat?“

Tanzer wunderte sich, dass Thiemig ihn ins Gespräch einband.

„Kann ich mir nicht vorstellen, es sei denn unmittelbar davor hatte er ein schreckliches Erlebnis, dann könnte der Schlag die kindliche Seele überfordert haben!“

„Das hört sich gut und richtig an. Woher nehmen sie solche Weisheiten?“

„Ich habe auf der UNI als Nebenfach Psychologie studiert!“

„Alles klar. Es hängt sicher auch mit dem Schlüssel zusammen, was immer er bedeuten soll!“

Es war schon spät.

„Also dann auf morgen. Ich werde sie umfassend informieren, wie ich den Fall sehe!“

Mit einem Händedruck gingen sie auseinander.

Sie freuten sich auf die morgige Zusammenarbeit. Das war für beide neu.

Am nächsten Morgen bat Thiemig seinen Freund im Verkehrsdezernat, Hauptmann Josef Leitner, in der Nähe des Unfallortes nach einem abgestellten Wagen suchen zu lassen.

„Helene Rückauf hatte doch den Eindruck, dass Frau Rufus absichtlich auf deren Wagen zuging!“, erklärte Thiemig seinem neuen Partner.

„Vielleicht hatte sie eine Panne und sie sah, den ihr bekannten Wagen, wollte ihn anhalten und wurde überfahren. Das würde erklären, was eine Fußgängerin dort in der Einöde zu tun hätte!“

Auch Albin Tanzer fand diese Idee logisch.

Sehr bald kam die Bestätigung: Gabriele Rufus Auto wurde in der Nähe der Unfallstelle mit leerem Tank aufgefunden.

 

„Damit ist die Idee des Unfallmordes endgültig vom Tisch, nicht aber unsere Erkenntnisse aus dem Computer. Hier handelt es sich um den gleichen Personenkreis und einem ungeklärten, möglichen Mord! Ein Zufall. wie so manches Mal das Schicksal spielt“

Zufrieden nickte er.

„Die Aufzeichnungen des Laptops sprechen Bände!

Wahnsinn! Der Bezirksinspektor Glatzl hat mich mit einer Handbewegung abgetan, als ich ihm den Computer vorführen wollte!“

Tanzer erstaunt: „Warum hat er das getan?“

„Er war so sauer, weil ich eigenmächtig recherchiert hatte, dass ihm das Ergebnis dieser Recherchen egal waren!“

Er grinste zufrieden: „Seine Beschwerden bei dem Leutnant Matziner sind der Grund, warum wir jetzt zusammenarbeiten und diesen Fall aufklären werden.

Tanzer: „Es geht ihnen ein schlechter Ruf voraus, aber ich vermute, dass es sich dabei um überforderte Vorgesetzte handelt, so wie ich sie jetzt kennenlerne!“

Beide brachen in helles Gelächter aus. Thiemig fühlte sich geschmeichelt. Er fand, dass es befreiend war, mit diesem Tanzer zu arbeiten.

„Aus den Aufzeichnungen geht hervor, dass man Computertechnik als harmlose Spiele deklariert, an das Ausland, hauptsächlich Länder in Ostasien, verkauft hat und dafür horrende Summen illegal irgendwo bunkerte!“

„Der Ausgangspunkt war offensichtlich die Softwarefirma des Florian Rufus!“, stellte Tanzer fest

„Also wen haben wir da.“

Thiemig fasste zusammen:

 „Da ist erst einmal Florian Rufus, ein Softwareentwickler mit internationalen Kontakten. Was mir zuerst seltsam in die Augen stach, waren die Kontakte nach China. Er machte offensichtlich Geschäfte im gesamten ostasiatischen Raum. Mit Computerspielen?

Tanzer: „Das ist seltsam. Das läuft normalerweise umgekehrt!“

 

„Dann wäre da Rechtsanwalt Dr. Michael Held. Er machte die Buchhaltung!“

„Als Rechtsanwalt?“, fragte Tanzer erstaunt, „das könnte doch eine Buchhalterin machen!“

„Es sieht so aus als wäre es seine Hauptaufgabe gewesen, das offensichtlich nicht ehrlich erworbene Vermögen der Firma Rufus, an der Steuer vorbei zu schwindeln.

„Sind wir sicher, dass Rufus von den illegalen Aktivitäten wusste?

Könnte das Alles nicht hinter seinem Rücken stattgefunden haben!“

„Das wäre möglich aber nahezu unglaublich!“

„Kann durchaus ein Mordmotiv gewesen sein! Immer, immer für den Fall, dass er ermordet wurde!“

„Davon gehen wir aus! Möglicherweise hatte er diese Taten entdeckt und musste deshalb verschwinden!“, so Thiemig.

„Die trauernde Witwe und sein Partner Max Rückauf, konnten dann ungestört weiter machen!“, folgerte Tanzer.

Thiemig nickte zustimmend:

„Dieser Max Rückauf. Ich denke, dass er, bevor er bei Bachler zum Leiter der österreichischen Betriebsstätten gemacht wurde, mit Rufus gemeinsame Sache machte. Sein Part war möglicherweise Betriebsspionage bei seinem späteren Schwiegervater. Dabei erleichterte seine Hochzeit mit dessen Tochter sicher die Sache. China war vermutlich an der 3D-Druckertechnologie interessiert und ließ sich das etwas kosten!“

„Schnitt er sich damit nicht ins eigene Fleisch?“, zweifelte Tanzer.

„Das war auch vermutlich von Anfang an nicht so geplant, denn eigentlich wolle Max die Helene ja gar nicht heiraten. Das ergab sich so – mit guten Gaben und Überredung von Hofrat Bachler. Der konnte doch nicht wissen, welche Laus er sich da ins Fell setzte!“, erklärte Thiemig, „der wollte bloß die Schande eines unehelichen Bangerts aus dem Weg räumen!“

„Unglaublich!“, schüttelte Tanzer den Kopf.

„Schauen wir weiter:

Gabriele Huber, die spätere Gattin des Florian Rufus. Sie war die Halbschwester des Gärtners Heinz Greber und mit ihm auf dem Anwesen der Bachlers aufgewachsen.“

„Davon hat der Gärtner nichts erzählt, oder?“

Thiemig ließ sich nicht beirren: „Ihre Liason mit dem Max Rückauf brachte ihr Zugang zu den Betriebsabläufen in den Betrieben Herbert Bachlers. Ihre Verehelichung mit Florian Rufus gab ihr die Möglichkeit Florians Firma für ihre Verbrechen zu missbrauchen. Sie war die treibende Kraft zwischen den Dreien, wobei sie auch ihre körperlichen Reize einzusetzen wusste!“
„Wie es aussieht auch mit Michael Held, dem Rechtsanwalt und Verwalter der legalen oder auch illegalen Vermögenswerte dieser drei Personen. Gabriele selbst führte offensichtlich die geheimen Aufzeichnungen. Ihr Laptop war so gesichert, dass sie keine Angst haben musste, dass jemand darin schmökern könnte. Es ist eine tolle Leistung unserer KTU, dass sie es trotzdem schafften!“

Thiemig nickte sinnend mit dem Kopf.

„Jetzt erbt Held und Max Rückauf gemeinsam mit Heinz Greber jeweils ein Drittel ihres legalen Vermögens. Die Villa und der dazugehörige Grund gehört allerdings den Rückaufs. Gabriele hatte da nur Wohnrecht auf Lebenszeit.

„Sehr enge Verwicklungen!“. konstatierte Tanzer.

„Dann wäre da nur noch Helene Rückauf, die einzige Tochter Bachlers. Von ihr steht nichts im Laptop, aber das Handy sagt uns, dass sie mehrere Anrufe getätigt hatte.

Bei ihr ist nicht klar – wusste sie von den Aktivitäten ihres Mannes? Wusste sie woher das Geld kam, das sie mit vollen Händen ausgab? Sie konnte doch nicht so dumm sein, zu glauben, dass sein Verdienst bei ihrem Vater, seinen Reichtum begründen würde? Der Computer erwähnte sie nicht“

 

„Da ist eine riesen Sauerei im Gange!“, stimmte Inspektor Tanzer zu, „aber wäre das nicht ein Fall für ein anderes Dezernat?“

„Das wäre richtig, hätte ich nicht noch den einen Verdacht!“
„Natürlich!“

„Dieser Mord, der allerdings noch nicht erwiesen ist!“, sagte Thiemig triumphierend.

„Wie das?“

Jetzt war Tanzer richtig neugierig.

„Florian Rufus verschwand vor etwa zehn Jahren und ward nicht mehr gesehen!“

„Möglicherweise ist er mit dem Geld abgetaucht und hat eine andere Identität angenommen!“, meinte Tanzer nachdenklich.

„Das haben die Ermittler damals auch angenommen und ihre Nachforschungen nach einiger Zeit aufgegeben, doch das kann nicht sein!“

„Was sollte ihn davon abhalten?“
„Das Vermögen! Er konnte es nicht mitgenommen haben, denn Gabriele Rufus, Michael Held und Max Rückauf teilten sein schwarzes Vermögen untereinander auf! Gabriele erbte später, nachdem man Florian für tot erklärte, auch sein offizielles Vermögen.“

„Nein!“

„Doch! Sie hatte alles fein säuberlich aufgelistet! Und, was sagt uns das?“

„Vermutlich hat man ihn aus der Welt geschafft, um zu seinem Vermögen zu kommen.!“

„Genau! Also, Mord! Damit gehört sein Fall zu unserem Dezernat und weil sich sonst niemand dafür interessiert, zu uns Beiden!“

Thiemig grinste den verwirrten Tanzer triumphierend an.

„Wie sollen wir eine 10 Jahre alte Leiche finden, wenn sich schon Andere die Zähne daran ausgebissen haben!?“

„Die hatten die Aufzeichnungen des Computers nicht und waren daher nicht sicher, ob es eine Leiche geben könnte. Offiziell ist er bei einem Segeltörn umgekommen. Dabei verschwindet bald eine Leiche!“

„Warum nehmen sie an, dass es nicht so war?“

„Wegen der Geschwindigkeit mit der die Drei das Schwarzgeld verteilten!“

„Das verstehe ich nicht!“

„Ganz einfach! Im Normalfall mussten sie doch damit rechnen, dass Florian plötzlich wieder auftauchen könnte, also würden sie zumindest eine Zeitlang zuwarten. Das war laut der Computeraufzeichnungen nicht der Fall, daher wussten sie, dass er wirklich tot und damit für sie keine Gefahr ist!“

„Sie sind einfach genial!“, stellte Tanzer fest, „doch wie finden wir die Leiche?“

„Durch Dr. Michael Held! Er ist ja als Einziger unverletzt verfügbar. Mal sehen, was er zu harten Verhören zu sagen hat. Gabriele und Max stehen uns ja nicht zur Verfügung!“

 

Dr. Michael Held war entsetzt als ihn Maria anrief und von der Hausdurchsuchung bei Gabriele erzählte.

„Der Laptop!“, ging es ihm durch den Kopf.

„Diese blöde Gabriele! Weil sie auch wie eine Buchhalterin wirken musste <Es muss alles seine Ordnung haben>, war ihr Spruch. Schließlich ging es um viel Geld.

„Strenge Rechnung, gute Freunde!“

Auch so ein blöder Spruch von ihr.

„Das Geld ist wenigstens sicher im alten Haus von Florian versteckt! Ich muss es sicherstellen, bevor die Kripo auf die Idee kommt, auch dort eine Hausdurchsuchung durchzuführen. Immerhin lagert da ihr Schwarzgeld von 20 Jahren harter Arbeit. Das Teilen ist jetzt nicht mehr möglich, denn Gabriele ist tot und Max fast tot. Wohin jetzt mit dem Geld?“

Es war ihm noch gar nicht richtig bewusst geworden, dass er jetzt unermesslich reich war. Sie hatten aus Vorsicht das Geld nur gehortet und kaum etwas davon ausgegeben. Auch das war Gabis Idee gewesen. Aber sie hatte über Einnahmen und Ausgaben genau Buch geführt, damit sie untereinander sicher waren. Diese Aufzeichnungen waren nun vermutlich durch die Hausdurchsuchung in den Händen der Polizei. Gabi hatte zwar immer stolz erzählt, dass der Lap so gesichert ist, dass niemand ihn einsehen könne.

Was, wenn die Polizeitechniker es doch schaffen?

„Ich muss mich beeilen und das Geld in Sicherheit bringen!“, jagten ihn die Gedanken.

 

Es waren drei Koffer voll Bargeld, die er aus dem Kellerversteck im Haus des verstorbenen Florian Rufus holte, immer mit der Angst, beobachtet zu werden.

Er hatte keine Idee, wohin er mit dem Geld sollte. Man konnte es doch nicht auf einer Bank deponieren.

Er musste unwillkürlich Lächeln – die würden Augen machen.

Es war für ihn unglaublich wieviel Stress es der Psyche machte, mit so viel Geld unterwegs zu sein. Was, wenn er einen Unfall hätte. Nicht auszudenken - einfach nur eine Verkehrskontrolle!

Bei diesen Gedanken rann es ihm heiß und kalt über den Rücken.

„Es müsste doch Lagerplätze zu vermieten geben! Aber möglichst nicht hier in St. Pölten!“

Das war die Idee. Er mietete in der Nähe Wiens per Handy einen Container. Dann wuchtete er die Geldkoffer in den Wagen und fuhr los, immer ängstlich um sich sehend damit, ja niemand seine Aktion sehen sollte. Dieses Geld machte ihn nervös. Das hätte er nie gedacht.

 

Diesmal schaffte es Thiemig nicht, der Staatsanwältin eine Hausdurchsuchung bei Rechtsanwalt Dr. Held herauszulocken.

„Wieder eines ihrer Bauchgefühle und keine beweisbaren Tatsachen!“, sagte sie. „Noch dazu ein Rechtsanwalt! Niemals – das können sie vergessen. Bringen sie mir etwas Handfestes, etwas Beweisbares!“, war ihre Rede.

„Der Versuch war es wert!“, meinte Thiemig unverzagt, „müssen wir uns eben auf die Vernehmung konzentrieren und darauf verlassen, dass er weich wird!“

„Bei einem Rechtsverdreher? Das kann ich mir nicht vorstellen!“, wandte Tanzer ein.

„Wir haben die Computerdaten!“, meinte Thiemig triumphierend

„Er wird uns auf irgendeine Weise erklären. Dass sie Fakes sind!“, so Tanzer.

„Deshalb wollte ich ja mittels Durchsuchung das Geld finden!“

„Wenn er einigermaßen klug ist, wird er es nicht zuhause lagern. Das kann irgendwo sein!“

„Sie sind ein Spaßverderber!“, maulte Thiemig. Er musste aber zugeben, dass Tanzer recht hatte. Er war bisher recht zufrieden mit seinem neuen Partner.

 

Die Vorladung funktionierte nicht. Auch persönlich war er nicht zu erreichen. Am Handy war nur die Mailbox.

„Er ist abgehauen. Gebt eine Fahndung raus und versucht ihn über das Handy zu orten!“, gab er den Auftrag an das Sekretariat weiter.

Gerti Stangl machte das, ohne es weiter zu melden, denn sie mochte diesen Streber und es tat ihr leid, ihn nicht mehr persönlich betreuen zu dürfen. Bei ihm war immer was los! Im Gegensatz zu seinen Vorgesetzten war er immer guter Laune und zu Scherzen aufgelegt. In ihrem Herzen war etwas mehr Platz als nur Sympathie für ihn. Doch das ließ sie sich nicht anmerken.

 

Michael Held war auf dem Weg nach Wien. Er hatte in Schwechat telefonisch einen Lagercontainer gemietet. Er war entsetzt, dass ihn das LKA-St. Pölten schon unterwegs anrief.  Schnell entfernte er den Chip aus dem Handy, damit man ihn nicht orten könne.

„Sie fahnden schon nach mir!“, stellte er fest.

„Zuerst muss ich das Geld loswerden. Dann werde ich zurückkehren und feststellen, was sie wissen. Beweisen können sie nichts und die Aufzeichnungen der Gabriele kann ich als Wunschträume zurückweisen!“

Das Herz wurde ihm leichter. Wozu war er Rechtsanwalt. Er würde sich von allem herauswinden. Dessen war er sich sicher. Er hatte keine Ahnung davon, dass dies eine Mordermittlung war, deren Ursprung 10 Jahre zurück lag.

Er erreichte unbehelligt sein Ziel in Schwechat und deponierte das Geld. Wo jetzt bloß hin mit dem Schlüssel! Erst einmal zum Flughafen. Er stellte das Auto in eine Tiefgarage, deponierte den Schlüssel in einem Gepäcksfach und mietete für die Rückfahrt ein Mietauto. So wollte er sicher stellen nicht belästigt zu werden.

Er fuhr nach Wiener Neustadt, mietet ein anderes Auto und fuhr über die Autobahn zurück nach St Pölten. Dann schob er den Chip wieder in das Handy und wartete ab. Sie würden das Auto am Flughafen finden und annehmen, dass er per Flug flüchten würde. Das gäbe ihm Zeit, die nächsten Schritte zu überlegen, weil sie einer falschen Spur nachfolgen werden.

Michael Held war mit sich zufrieden.

 

 

„Wir konnten ihn über das Handy nicht orten. Er muss es vom Netz genommen haben!“

„Ja klar! Er ist ja nicht dumm! Was war sein letzter Standort?“

„Nicht weit weg von St. Pölten!“

„Leider hilft uns das nicht. Er hat Lunte gerochen!“

„Die Fahndung läuft! Vielleicht fassen wir ihn in seinem Auto!“

„Wenn er mit diesem unterwegs ist!“

„Miesling!“ bemerkte Thiemig scherzhalber. Die Zusammenarbeit mit Tanzer war angenehm. Er hatte eine schnelle Auffassungsgabe und eine gewisse kriminelle Energie, um sich in einen Täter hineinzuversetzen.

„Solange wir den Rechtsanwalt Held nicht haben, sind die beiden Komapatienten unsere einzige Chance!“, war sich Thiemig klar.

Die Nachfragen nach den im Koma liegenden Niki und Max ergaben leider kein positives Ergebnis. Max war so fiebrig, dass man ihn mit Kühldecken abzukühlen versuchte. Niki reagierte einfach nicht, aber seine sonstigen Werte waren stabil.

Es meldete sich Glatzl.

„Was höre ich? Sie haben eine Fahndung eingeleitet, ohne mich zu fragen?“

„Sie sagten doch, ich habe freie Hand, oder?“

„Ja, aber ich sagte auch, dass sie regelmäßig berichten sollen!“

„Es gab nichts zu berichten! Die Fahndung läuft noch!“

„Doch was hat zu der Fahndung geführt! Das wäre einen Bericht wert!“

„Ich denke, einen Bericht ist ein Ergebnis wert, nicht ein Verdacht!“

Dann erklärte Thiemig dem Glatzl, von den Computerdaten und seinen Überlegungen dazu!“

„Das ist ein Fall für den Betrug!“, war Glatzls Meinung.

„Es ist zuerst ein Mordfall, dann erst Betrug!“, widersprach Thiemig, sehr zum Ärger Glatzls.

Glatzl beschloß den Thiemig-Fall mit Leutnant Matzinger zu besprechen. Es reichte ihm, mit diesem Banausen.

Da hatte er allerdings auf das falsche Pferd gesetzt.

„Wunderbar!“, tönte Matzinger begeistert, „der Mann bearbeitet einen alten Fall und hat einen neuen Verdacht! Daran könnt ihr euch ein Beispiel nehmen. Lasst ihn doch arbeiten. Alte unerledigte Fälle sind schwer genug. Kaum jemand will sich das antun. Dieser junge Mann tut es sich an! Bremst ihn doch nicht! Das Schlimmste was passieren kann ist, dass der Fall weiter unerledigt bleibt!“

Leicht geknickt verließ Glatzl das Büro seines Freundes.

„Dieser Thiemig ist eine neue Generation Ermittler, ich fürchte, wir müssen uns damit abfinden!“ versuchte er sich zu beruhigen.

 

Thiemig war zufrieden. Damit hatte er nicht gerechnet. Glatzl gab ihm für den Fall Florian Rufus mehr freie Hand.

Er sollte nur mehr Ergebnisse berichten. Gerti Stangl sollte ihm wieder zur Verfügung stehen und Recherchen durchführen.

Tanzer bewunderte den Dickschädel und die Durchsetzungskraft seines neuen Partners. Mit ihm könnte man noch weit kommen, war er überzeugt.

 

Der nächste Tag begann mit einer Überraschung.

Dr. Michael Held war im Präsidium erschienen. Man konnte die Fahndung abbrechen.

Vernehmung Dr. Michael Held Rechtsanwalt und Buchhalter bei den Rufus

Thiemig:„Wir konnten sie nicht erreichen!“, begann er die Vernehmung.

Held: „Warum wollten sie mich unbedingt erreichen?“, war die Antwort.

Tanzer: „Wir benötigen ihre Aussage im Zusammenhang mit Frau Gabriele Rufus!“

Held: „Soweit ich informiert bin, ist Gabriele Rufus verunglückt!“

Thiemig: „So ist es! Wie sehr kannten sie diese Frau?“

Held: „Eigentlich durch ihren Mann Florian Rufus. Ich machte seine Steuererklärungen und führe die Arbeit mit seinem Partner, Herrn Max Rückauf und der Witwe weiter!“

Tanzer: Und erben jetzt nach ihrem Tod ein Drittel ihres Vermögens. Wie das?“

Held schwieg

Thiemig: Änderte das Thema: „Florian Rufus ist doch plötzlich verschwunden. Hatten sie danach noch Kontakt zu ihm?“

Held: „Nein! Seine Ehe lief schlecht. Er hatte sich nicht einmal verabschiedet!

Tanzer: „Wie ging es mit seinen Geschäften weiter?“

Held: „Wie ich schon sagte, die übernahm sein Partner Max Rückauf und Gabriele arbeitete sich in die Materie ein, weil Herr Rückauf von seinem Schwiegervater in seine Führungsriege gerufen wurde. Dadurch war er zeitmäßig nicht mehr in der Lage weiterzumachen. Als nach längerer Zeit Florian Rufus als tot erklärt wurde und Gabriele Rufus alles erbte, verkauften sie die Patente, und lebten von den Provisionen. Die verschafften beiden ein gutes Leben!“

Tanzer:„Was waren das für Patente?“

Held; „Ich habe keine Ahnung! Es ging um Software angeblich für Spiele, doch ich hatte den Verdacht, dass man diese Software auch für Kriegsspiele verwenden könnte. Dafür würde sprechen, dass China daran interessiert war! Alle machten ein großes Geheimnis darum!“

Thiemig: „Man hatte doch Frau Rufus und Herrn Rückauf in Verdacht, am Verschwinden des Herrn Rufus mitschuldig zu sein!“

Held: „Das ist lächerlich! Frau Rufus könnte ich mir vorstellen, so wie die Ehe gelaufen ist. Welches Motiv hätte Herr Rückauf haben sollen? Er hat doch an Rufus Arbeit mitverdient!“

Tanzer: „Was war mit der Ehe der Rufus los?“

Held: „Es ist mir sehr unangenehm, über Verstorbene schlecht zu reden!“

Thiemig: „Stellen sie sich nicht so an! Sie waren doch ein Teil dieser Probleme!“, seine Stimme wurde etwas lauter und bestimmter.

Damit hatte Michael nun nicht gerechnet. Die Polizei weiß von ihrem Verhältnis? Er stellte sich dumm, um mehr zu erfahren.

Held: „Teil dieser Probleme? Was meinen sie?“

Thiemig: „Nun! Abgesehen von der Erbschaft! Wir wissen von ihren Telefongesprächen zur unverhältnismäßigen Nachtzeit. Das ging doch lange so!“

Held: „Das hatte wohl mit ihrer seinerzeitigen Ehesituation zu tun. Sie sprach sich gerne mit mir über ihre Situation aus und ich tröstete sie. Daraus wurde eine sehr innige Freundschaft!“

Zanzer: „Nur am Handy?“

„Nur am Handy, solange Florian lebte. Als er sie verließ, war der Trost schon intensiver?“

Thiemig:„Wir denken, dass sie ein Verhältnis mit ihr hatten. Auch schon zu seinen Lebzeiten bis heute!“, stieß er nach, „damit hatten sie ein Motiv, Herrn Rufus loszuwerden!“

Held: „Ach daher weht der Wind! Sie können es mir nicht nachweisen!“

Dr. Held lehnte sich beruhigt zurück. Da war bisher noch nichts Gefährliches für ihn dabei.

Tanzer: „Was ist mit Florians Geld?!“, er fragte unvermittelt, um die Reaktion des Anwaltes zu beobachten.

Held zuckte zusammen.

„Jetzt geht es los!“, dachte er.

Thiemig hatte ihn genau beobachtet.

Thiemig; „Laut den Aufzeichnungen der Frau Rufus haben sie Millionen aus den Finanzen Florians bekommen. Wo ist das Geld?“

Held: „Welches Geld! Ich habe außer meinen Beteiligungen an den Patenten und meiner Arbeit kein Geld erhalten. Gabriele war eine Träumerin und wollte immer schon einen Roman schreiben. Dafür sammelte sie fiktive Fakten. Möglicherweise haben sie an ihrem Laptop solche Aufzeichnungen gefunden!“

Thiemig ärgerte sich maßlos über diese freche Lüge.

Thiemig: „Dann haben sie sicher nichts dagegen, wenn wir ihr Haus durchsuchen!“

Auf diese Weise könnte Thiemig, Mayereders Weigerung umgehen.

Held: „Wenn sie meinen? Dann suchen sie doch!“

Tanzer: „Er hat das Geld schon weggebracht!“, flüsterte er.

 

Die Hausdurchsuchung war ein Schlag ins Wasser. Dr. Held fühlte sich unschlagbar. Er wusste allerdings nicht, dass in dem besagten Laptop noch einige, ihn belastende Fakten zu finden waren. Da ging es mehr um Betrug oder Werkspionage. Damit wollten Thiemig und Tanzer nicht auftrumpfen, um ihm keine Möglichkeit zu geben sich aus dem möglichen Mord herauszuwinden. Sie wollten ihn in Sicherheit wiegen. Sie hofften, dass er sie auf irgendeine Weise zu dem Geld führen würde, wenn sie ihn unbehelligt ließen. Sollte er doch glauben, dass seine Idee mit dem Roman, den Gabriele angeblich schreiben wollte, geschluckt wurde
Gerti Stangl sollte eine persönliche Überwachung des Dr. Held organisieren, doch Bezirksinspektor Glatzl bekam davon Wind.

Er stürmte in Thiemigs Büro.

„Was soll diese teure Überwachung eines unverdächtigen Mannes!“, brüllte er.

Thiemig blieb ungerührt.

„Sie wissen offensichtlich nicht, wovon sie reden!“, gab er ruhig zurück.

Dem Bezirksinspektor blieb Angesichts dieser Frechheit der Mund offenstehen.

„Ich habe ihnen von den Aufzeichnungen des Laptops der verunfallten Gabriele Rufus erzählt, was sie nicht interessiert hat. Aus diesen Aufzeichnungen gehen Verdachtsmomente auch gegen Dr. Held hervor. Es geht um Millionen, die er irgendwo versteckt hält. Nur durch eine Überwachung wäre es möglich fündig zu werden. Also hören sie auf herumzuschreien! Das ist ihrer Stellung nicht würdig!“, sagte er ruhig und ein wenig hochmütig.

Tanzer konnte es nicht fassen. Er begann Thiemig zu bewundern!

Ohne ein Wort zu sagen kehrte Glatzl um und schlug wütend die Türe zu.

Thiemig gab der Gerti Stangl grünes Licht für die Überwachung. Auch sie war stolz auf das Durchsetzungsvermögen ihres Schützlings.

Heinrich Glatzl dagegen sammelte Fakten gegen Thiemig, um ihm die Interne an den Hals zu hetzen. Thiemig hatte sich mehrmals der Befehlsverweigerung schuldig gemacht. Glatzl hatte nicht vor, das zu tolerieren. Mit den Kosten dieser Überwachung könnte er punkten.

 

Da sich Dr. Held nach Wien aufmachte, um sein Auto zu holen und den Containerschlüssel auszulösen, arbeitete man mit den Wiener Kollegen zusammen an der Beschattung des Verdächtigen. Dieser hatte davon keine Ahnung. Er wurde allerdings dabei beobachtet, wie er sich am Schwechater Flughafen an einem Gepäckfach zu schaffen machte, aber anscheinend nichts herausnahm. Als sie danach das Gepäckfach untersuchen wollten, war es bereits von einem anderen Fluggast genutzt worden.

Dieser war sehr überrascht, dass er bis zu Nacktheit perlustriert und danach streng verhört wurde. Er konnte nicht verstehen, dass man von ihm wissen wollte, wo die Millionen wären.

Den Flug versäumte er. Da nützten ihm die Entschuldigungen der Beamten auch nichts.

Dr. Held blieb unbehelligt und hatte keine Ahnung davon.

Er überlegte auf der Fahrt zurück nach St. Pölten, wo er den Schlüssel unbehelligt aufbewahren könnte.

Schließlich dachte er an den Ausspruch: „Wo versteckt man am besten einen Menschen? – In einer Menschenmenge!“

„Na klar!“, sagte er zu sich selbst, „Die Polizei hat alles gründlich gefilzt und nichts gefunden. Die werden nun Ruhe geben. Also werde ich den Schlüssel völlig unverfänglich zu den anderen Schlüsseln am Schlüsselbund hängen!“

Nach drei Tagen blies man die Beschattung ab. Es war nichts dabei herausgekommen. Scheinbar eine Niederlage.

 

Inspektor Tanzer beriet sich mit einem seiner Professoren, die er aus dem Psychologischen Unterricht kannte, wie man dem Nikolaus Rückauf helfen könnte. Tanzer brachte die Verdachtsmomente Thiemigs zur Sprache. Auch den Zufall, dass seine Symptome fast zu der gleichen Zeit auftauchten, da Florian Rufus verschwunden war. Das Alles erklärte nicht, was es mit dem Schlüssel zu tun haben könnte.

„Vielleicht ist der Schlüssel ein Symbol für etwas, was in seiner Seele entsperrt werden sollte!“, mutmaßte er.

Das half nun Albin Tanzer auch nicht weiter.

Thiemig nahm derweilen alles Material, das für den Fall Rufus interessant war, zu Leutnant Matzinger mit, um ihm zu berichten und eventuell der Beschwerde des Bezirksinspektors zuvorzukommen.  Dieser wusste nichts von einer Beschwerde, denn Glatzl hatte sich nach Wien an die Innere Revision gewendet, weil eine Meldung an das Büro für Innere Angelegenheiten auch für interne Meldungen, nicht an den Dienstweg gebunden war. Das heißt: ein Vorgesetzter konnte einem Mitarbeiter eine Meldung nicht verbieten.

Jedenfalls: Der Leutnant war sich der Brisanz seiner Anordnungen bewusst und ließ sich mit Thiemigs Berichten und den Verdachtsmomenten in Gabriele Rufus Laptop, Zeit. Auch er fand die Aussage des Dr. Held über die gesammelten Fakten für einen zukünftigen Roman Gabrieles lächerlich. Er fand die Vorgangsweise Thiemigs voll in Ordnung und ermunterte ihn weiterzumachen.

„Halten sie sich an den Jungen. Er könnte der Schlüssel (er musste Lächeln wegen des Schlüssels) zu der Lösung des Falles werden!“

Thiemig war zufrieden. Jetzt erst fiel ihm auf, dass er Tanzer den ganzen Tag nicht gesehen hatte. In diesem Augenblick musste er an die Reaktion des Johann Spreitzhofer denken und begann ihn zu verstehen. Tanzer hätte sich doch wenigstens am Handy melden können. Einfach nur erklären, wo er ist und was er tut. Andererseits hätte Thiemig genauso reagieren können. Fakt war: Thiemig war so beschäftigt, dass ihm Tanzer nicht fehlte.

Deshalb wollte Thiemig anders reagieren als der Revierinspektor.

Als er ihr gemeinsames Büro betrat, wieder mit Laptop und dem Stoß Akten bewaffnet, lachte ihn Tanzer an:

„Sieh an! Ich wollte schon eine Abgängigkeitsanzeige

aufgeben! Aber Frau Gerti Stangl teilte mir mit, wo sie sich befinden, und ich konnte mir denken warum!“

Thiemig war verblüfft. Dieser Kerl nahm ihm einfach den Wind aus dem Segel.

„Ich habe inzwischen die Zeit genutzt, um mich psychoanalytisch zu betätigen! Das mit dem Dr. Held, wird zu umständlich. Ich denke wir sollten es über den Knaben angehen!“

„Sieh mal an! Etwas ganz Neues!“, spöttelte Thiemig überrascht, „dieselbe Meldung hatte eben der Leutnant gemacht. Wie stellen sie sich das vor!“

Jetzt erst wurde Tanzer bewusst, dass er vorgeprescht war, ganz nach Thiemigs Manier.

„Zuerst sollten wir ihn dazu bringen aufzuwachen. Dafür hätte ich einen Plan. Wir brauchen dazu Helene Rückauf!“

Tanzer war in seinem Eifer nicht aufzuhalten. Thiemig musste lächeln:

„Der Kerl hält mir einen Spiegel vor!“, dachte er und blieb gnädig.

„Heute nicht mehr! Für einen Krankenbesuch ist es zu spät!“, meinte er.

„Für einen Anruf nicht! Ich habe mich erkundigt. Es geht Helene besser. Sie verbringt Stunden am Krankenbett ihres Kindes. Sie spricht mit ihm in der Hoffnung, dass er sie auch im Koma hört!“

„Wozu wollen sie sie belästigen? Was wollen sie von ihr?“

„Wir brauchen etwas persönliches aus der Zeit, bevor Nik verstummte, etwas, was er liebte!“

Helene Rückauf war mit Tanzers Idee einverstanden. Sie wusste so etwas persönliches aus seiner Baby- und Kleinkinderzeit. Seine Spieluhr. Es gab eine Zeit, da wollte er ohne diese Melodie nicht einschlafen. Sie erzählte ihrem Kind zuerst eine Geschichte aber erst, wenn die Melodie der Spieluhr erklang, schlief er selig lächelnd ein.

„Erinnern sich noch an die Geschichte?“, so Tanzer.

„Natürlich! Eine Mutter vergisst solche Geschichten nie!“

„Aber wir wollen ihn doch nicht einschläfern!“, misstraute Thiemig diesen Plan. Vielleicht aber auch nur, weil er nicht von ihm war.

„Die Idee ist, dass diese vertrauten und geliebten Geräusche seiner Seele Labsal werden und er dadurch aufwacht!“

„Einen Versuch ist es jedenfalls wert! Haben sie diese Spieluhr noch?“, fragte Thiemig.

„Natürlich! Auf dem Dachboden bei den alten Babysachen. Ich werfe diese Dinge doch nicht weg!“

Eine sonderbare innere Erregung erfasste sie. Stundenlang hatte sie das bleiche Antlitz ihres geliebten Kindes betrachtet. Wie hatte sie zu Gott gebetet, dass er doch erwachen möge.

Sie nähme doch auch gerne seine Sprachlosigkeit in Kauf, wenn er sie nur ansehen und umarmen könnte.

Erstmals seit ihrem Unfall, rannen ihr dicke Tränen über die Wangen. Endlich konnte sie weinen. Es war die Hoffnung, die den Schmerz ihrer Seele befreite. Sie bat ihren Vater am nächsten Tag mit der Spieluhr in die Klinik zu kommen. Sie fühlte mit ganzem Herzen und aus tiefer Seele, das Tanzer recht haben könnte

„Es war ein bewegendes Telefonat!“, meinte Tanzer sinnend.

„Sie haben der Mutter Hoffnung gegeben! Umso größer wird die Enttäuschung sein, wenn es nicht funktioniert hat!“ ätzte Thiemig ein wenig. Irgendwie war er auf Tanzers Idee eifersüchtig.

„Es hat schon was für sich, Psychologie zu studieren!“, beruhigte er sich selbst.

 

Die Ärzte waren einverstanden mit dem Experiment. Sie waren sowieso der Meinung, dass er längst erwacht sein müsste. So trafen sich Helene Rückauf, Herbert Bachler, Albin Tanzer und Kurt Thiemig am nächsten Tag vor dem Krankenbett des komatösen jungen Mannes.

Tanzer erklärte noch einmal den Ablauf:

„Wir werden uns zurückziehen. Sie und ihr Vater bleiben an seinem Krankenbett. Sie werden Nik die gleiche Geschichte erzählen, die er als Kleinkind so liebte. Am Ende werden sie die Melodie der Spieluhr spielen. Diese vertrauten Geräusche sollten ihn aufwecken, denn nach Ansicht der Ärzte besteht keine Gefahr. Er ist eigentlich völlig wiederhergestellt, das Koma unnötig!“

Mit bebender Stimme begann Helene die Geschichte zu erzählen, doch dann wurde sie ruhiger, eindringlicher und liebevoller. Atemlose Stille nach dem Ende der Geschichte. Dann erklang die zarte Melodie der Spieluhr. Alle hielten gespannt den Atem an – nichts rührte sich.

Enttäuscht wandten sie sich ab und Helene weinte. Auch der Hofrat konnte sich die Tränen nicht verkneifen.

Da – plötzlich hörten sie eine schwache Stimme: „Mama?“

Der Knabe war munter – und er sprach!

Danach konnte er sich den Küssen und Umarmungen seiner Mutter und des Großvaters nicht erwehren.

Thiemig und Tanzer zogen sich zurück, um die Familienidylle nicht zu stören. Thiemig drückte Tanzer wortlos die Hand, aber sein Blick sprach von der Hochachtung, die er für seinen Partner fühlte.

Tags darauf wurde Helene und Nikolaus nach gründlicher Untersuchung aus dem Krankenhaus entlassen.

„Wir geben der Familie einige Tage Zeit, sich auf die neue Situation einzuleben!“, war Thiemig der Meinung, obwohl er darauf brannte mit Nikolaus zu sprechen.

„Sie haben recht! Wir sollten darauf achten, ihn nicht wieder zu überfordern!“, stimmte Tanzer zu. Er ging mit geschwellter Brust umher. In dem Spiel war er Sieger geblieben! Auch Gerti Stangl und der Leutnant Matzinger gratulierten ihm. Von Glatzl und Spreitzhofer war nichts zu vernehmen.

Sie arbeiteten in den nächsten Tagen an weiteren alten Fällen, weil sich sonst nichts für sie ergab. Ihre Gedanken allerdings kreisten immer wieder um Nikolaus Rückauf.

Sie waren sich nicht sicher, wann sie mit Befragungen beginnen sollten. Max Rückauf lebte, war aber noch nicht ansprechbar.

Michael Held wurde vom Betrugsdezernat in Verwahrung genommen. Mit dem Verschwinden von Florian Rufus konnte er nicht in Verbindung gebracht werden. Das Geld ist nicht aufgetaucht.

Dann kam der Rückschlag. Gerti Stangl meldete Helene Rückauf an.

Da ihr Büro zu klein war, wurde sie ins Besprechungszimmer gebeten. Sie wollten kein Verhörzimmer benutzen.

Helene Rückauf wirkte unglücklich.

„Was ist geschehen?“, fragte Thiemig, da sie nur dasaß und in die Luft blickte. Sie zuckte zusammen, als wäre sie weit weg gewesen.

„Der Bub! Er hängt im Alter von ca. 6 Jahren fest!“

„Wie? – er hängt fest!“

„Seine Erinnerungen ab dem 6. Lebensjahr sind ausgelöscht, einfach verschwunden!“

„Doch er spricht noch?“

„Er spricht, doch er kann sich an nichts erinnern. An nichts seit der Zeit als er Sprachprobleme bekam!“

„Auch nichts von dem Unfall oder von dem Schlüssel?“

„Keine Reaktion – wie weggewischt. Wenn ich daran denke, wie er wegen des Schlüssels im Teich durchgedreht ist – nichts davon!“

Thiemig sah im Geiste seine Felle zur Lösung des Falles Florian Rufus davonschwimmen.

„Das hat doch aber auch den Vorteil, dass die ihn belastenden Dinge nicht mehr vorhanden sind!“, versuchte Tanzer die Mutter zu trösten.

„Fangen sie doch, soweit es möglich ist ein neues Leben an!“

Der Trost funktionierte. Sie atmete durch, sprang auf, küsste Tanzer, bedankte sich bei Thiemig und verließ forschen Schrittes das Präsidium.

„Was war denn das jetzt?“, wunderte sich Thiemig.

„Nun ja! Die Mutter hat erkannt, dass sie die Chance bekam, neu anzufangen. Das macht sie glücklich, nach so vielen Jahren Schwierigkeiten!“

„Sie sollten statt zur Polizei zur Psychiatrie wechseln!“

„Ach wissen sie! Ein wenig Psychologie ist im Polizeialltag auch nicht schlecht!“

Sie lachten beide und Thiemig legte schweren Herzens die Akte Florian Rufus wieder zu den Unerledigten.

 

 Sie bearbeiteten einen Raubüberfall, als sich Hofrat Bachler meldete. Er tat sehr geheimnisvoll und bat nichts an seine Familie weiterzugeben. Max Rückauf war für kurze Zeit erwacht und hatte um den Besuch Bachlers gebeten.

„Er fürchtete zu sterben und wollte sein Gewisse erleichtern! Er starb auch. Aber vorher erzählte er mir Folgendes: Er machte gemeinsame Sache mit Heinz Greber, seiner Halbschwester Gabriele und Dr. Held. Sie nutzten das Wissen von Max, um die Technik meines 3D-Druckers an das Ausland zu verkaufen und benutzten Florian Rufus Firma als Schild. Als Florian ihnen auf die Schliche kam, erschlug ihn Heinz Greber. Sie waren gerade dabei, einen Pavillon am Rande des Teiches zu graben. Max half ihm, die Leiche in das Fundament zu legen und wurde dabei von dem kleinen Nikolaus beobachtet. Als Nik ihn darauf ansprach, nahm Max einen Schlüssel, tat geheimnisvoll und versperrte seine Lippen und warf dann den Schlüssel in den Teich. Damit begann die Tragödie mit der Verstummung. Als Nik erkannte, dass er nicht sprechen konnte, wollte er den Schlüssel aus dem Teich holen. Das Weitere wissen sie schon selbst.

Thiemig war erleichtert.

„Ein toter Zeuge ist nicht viel wert. Ich hoffe, sie werden diese Geschichte vor Gericht bezeugen!“

„Selbstverständlich. Ich bin schließlich auch Geschädigter!“

„Wir müssen uns diesen Gärtner vornehmen!“, so Tanzer.

„Wir brauchen einen Haftbefehl und werden die Verhaftung selbst vornehmen!“, entschied Thiemig.

 

Helene Rückauf hatte wieder frischen Lebensmut. Der Umgang mit Nik war problemlos. Er hatte nur keinen Zugang zu den Geschehnissen der letzten 10 Jahre.

Nun wollte sie einen Stachel in ihrem Auge und Herzen loswerden. Den Pavillon, in dem sie Max vor ihren Augen mit Gabriele betrogen hatte. Sie hasste ihn von ganzem Herzen.

Sie bestellte Arbeiter, die den Pavillon abreißen sollten. Sie legte auch selbst Hand an, indem sie mit einem Beil die Liege- und Sitzgarnitur zerstörte.

Da rannte plötzlich Heinz Greber heran.

„Sind sie wahnsinnig, was tun sie!“, schrie er und riss ihr die Hacke aus der Hand. Nikolaus hörte den Lärm und kam auch aus dem Haus gelaufen. Er sah Heinz Greber, der seine Mutter mit der, ihr entrissenen Hacke bedrohte! Er rannte herbei und versuchte ihm das Gerät aus der Hand zu reißen. In dem Gerangel stürzte Greber, ließ die Hacke los und Nik schlug im Fallen zu.

Er traf Heinz Greber mit einem einzigen Schlag den Kopf tödlich.

Helene stieß einen Markerschütternden Schrei aus und flüchtete.

Nikolaus stand da, wie eine Statue, den Mund zu einem Schrei geöffnet, aber kein Laut entrang ihm.

Im selben Augenblick kamen die Inspektoren an und merkten, dass sie zu spät waren.

„Das ist ein Schrei nach innen!“, meinte Tanzer erschauernd.

„Der Psychologe hat gesprochen!“, konstatierte Thiemig.

 

Nikolaus Rückauf sprach nie wieder ein Wort.

Sie fanden die Leiche in dem Fundament des Pavillons.

Thiemig konnte den Akt zu den Erledigten geben.

Sie bekamen eine Belobigung und Heinrich Glatzl ging mit der Anzeige bei der Internen baden.

 

Otto Pikal                           2021

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

.

 

 

 

 

 

 

 

 



 

 

 

 

 

 

Der Tote am Seebenstein

Oder

Das geht an die Nieren

„Hast du so etwas jemals gesehen?“, flüsterte der Beamte.
„Vielleicht im Fernsehen. In unserem Ort hat es schon seit dreißig Jahren keinen Mord mehr gegeben“, kam die erschütterte Entgegnung.
„Wie kann jemand so unmenschlich und grausam sein?“
Die Leiche lag eingehüllt in Plastik auf dem Boden, Hände und Füße mit einem breiten Klebeband gefesselt, den Mund zugeklebt. Die weit aufgerissenen Augen ließen nur erahnen, was der Sterbende gefühlt haben mochte. Man konnte selbst durch das Plastik sehen, dass der Bauch brutal aufgeschlitzt wurde. Das Blut wurde aber offenbar sorgfältig weggewischt. Für die beiden Polizisten eine Tat des Grauens in einem kleinen friedlichen Ort. Sie hatten bisher nur Verkehrstote auf der nahen Südautobahn gesehen.
Wie zum Hohn ging strahlend die Sonne über dem Bergkamm auf. Sie beleuchtete die majestätisch aufragende Burg Seebenstein in einem unwirklich erscheinenden Orange. Doch niemand beachtete das Schauspiel, das ihnen die aufgehende Sonne mit ihrem Morgenrot bot. Zu sehr waren sie mit dem Grauen, das ihnen die zu Füßen der Burg liegende Leiche bereitete, beschäftigt.
„Es war ein kaltblütig geplanter Mord. Es wurde ihm mit chirurgischer Präzision die Niere herausgeschnitten!“, meinte der herbeigerufene Gemeindearzt.
„Mit chirurgischer Präzision?“, wiederholte ungläubig der leitendende Beamte Rayonsinspektor Gattermeier.
„Ja – man hätte sie in diesem Zustand vermutlich irgend Jemandem einpflanzen können.“ Der Arzt beendete seine Untersuchung.
„Unverständlich ist nur, warum der Täter die so exakt herausoperierte Niere dem Toten zwischen die Füße legte. Das macht doch keinen Sinn!“
„Vielleicht eine Botschaft – ein Racheakt.“
„Keine Ahnung! Das ist euer Bier. Meine Arbeit ist getan. Ich würde vorschlagen, dies einen Pathologen beurteilen zu lassen.“ 
„Er hat recht. Das übersteigt unsere Kompetenz. Wir brauchen Hilfe! Ich informiere zuerst mal den Chef!“
Inspektor Gattermeier tat sich schwer mit dieser Entscheidung. Er mochte die Wichtigtuer in Zivil nicht. Doch dieses Verbrechen war speziell. Es war ein Fall für die Kriminalpolizei.
Gattermeiers Abneigung war allerding aus dem Frust geboren, dass er im Gegensatz zu seinem damaligen Partner bei einer wichtigen Beförderung übergangen wurde. Aus seinen Reaktionen darauf folgten die Degradierung und Versetzung hierher.
Er verscheuchte die finsteren Gedanken und erstattete seinem Postenkommandanten Bericht.
In einigem Abstand davon hatte sich der völlig verdatterte Zeuge Leo Handler auf einer Bank vor dem Burggraben niedergelassen. Sein Vorstehhund Max, der schuld an dem Fund war, lag gelassen neben ihm.
Gattermeiers Partner nahm die Personalien auf.
„Eines würde mich auch sehr interessieren. Waren sie hier ohne Leine unterwegs?“
„Was soll ich sagen – der Hund muss das Blut gerochen haben. Er riss sich los und stürmte wie ein Raubtier auf den Mann mit der Leiche los. Dieser ergriff sofort die Flucht, aber Max interessiert sich nur noch für die Leiche. Das hat er so gelernt. Ich musste ihn fast mit Gewalt davon wegziehen.“
„Können sie den Mann beschreiben?“
„Wie denn – es war doch noch finster. Ich gehe gerne mit dem Hund frühmorgens los.“
„Vermutlich ohne Leine und Beißkorb!“ ätzte der Beamte.
„Ich bitte sie! Das ist ein abgerichteter Jagdhund! Er folgt aufs Wort!
Wir machen hier auf der großen Wiese vor der Burg unser tägliches Dummy-Training. Um ungestört zu sein sind wir sehr früh unterwegs. Der Hund braucht nichts zu sehen – er soll den Dummy wittern. Bisher haben wir hier noch nie jemanden angetroffen.“
 „Was bitte ist ein Dummy-Training?“
„So wie manche Leute ihren Hund mit Stöckchen oder Bällen beschäftigen, machen wir das mit sogenannten Dummys. Das sind Attrappen, mit deren Hilfe wir dem Hund Aufgaben stellen. Ich bin pensionierter Jäger. Der Max ist es seit Jahren gewöhnt, an meiner Seite zu sein und zu warten bis er in Aktion treten darf. Wir waren eben erst an der Lichtung angekommen. Wir waren noch nicht so weit.“       
„Wieso riss er sich dann los?“
Herr Handler wand sich ein wenig, peinlich berührt.
„Ja, in diesem Fall…es muss der Blutgeruch gewesen sein. So hat Max noch nie reagiert! Es sah nur so aus als würde er sich auf den Mann stürzen. Er war an der Leiche interessiert. Es ist ein braver Hund.“
Er strich dem Hund zärtlich über den Kopf. Dieser quittierte es mit einem freudigen Schwanzwedeln.
„Ist ihnen sonst etwas Ungewöhnliches aufgefallen?“
„Er hatte seinen Wagen auf dem Forstweg am unteren Ende der Wiese abgestellt. Da war er für uns nicht zu sehen, denn wir kamen von der anderen Seite über die Serpentinen. Der Forstweg liegt etwas tiefer als die Wiese und war von Gebüschen verdeckt.“
„Natürlich! Er musste die Leiche ja irgendwie heraufgebracht haben. Sie haben den Wagen nicht gesehen?“
„Das Fahrzeug selber nicht, aber für kurze Zeit das Scheinwerferlicht, während er es ohne Motor bergab laufen ließ!“
„Wie weit waren sie entfernt?“
„Auf der anderen Seite der Wiese, etwa 150 Meter. Der Max muss trotz der Dunkelheit die Bewegung wahrgenommen und dann das Blut gerochen haben. Bis ich bei dem wartenden Max ankam war nichts mehr zu hören oder zu sehen.“
Es war inzwischen heller Tag geworden. Ein sonniger Frühlingstag. Die Burg erstrahlte im Sonnenlicht. Fast majestätisch, fand Inspektor Pasching und musste sich von dem Anblick losreißen, um mit der Befragung fortzufahren.
Der Inspektor war schon ein wenig genervt. Dieser Zeuge war nahezu unbrauchbar. Der Polizist unterdrückte mit Mühe einen Fluch.
Da kam auch noch Inspektor Gattermeier herbei und war mit dem Ergebnis der Befragung unzufrieden.
Er sah sich um. Der Forstweg war zwar breit genug, doch ein normales Fahrzeug könnte den steilen, mit Felsbrocken übersäten Weg sicher nicht schaffen.
Er lag etwas tiefer als die Wiese und es mündete ein zweiter Waldweg schräg von der Seite so ein, dass es einfach war das Fahrzeug auf dieser Art Kreuzung umzukehren und Talwärts zu stellen.
Gebüsche begrenzten die Wiese man würde es selbst bei Tageslicht kaum sehen.
„Mit diesem Zeugen werden Sie keine Freude haben!“
„Schicken Sie den Zeugen nach Hause. Bis das LKA kommt wird es noch dauern. Die kommen aus St. Pölten.“
„Warum nicht die Beamten des Bezirkskriminalamtes aus Wiener Neustadt. Das wäre doch wesentlich näher?“
„Weil der Fall für die hohen Herren offensichtlich interessant ist.“
Man konnte deutlich den negativen Unterton des Inspektors hören.
Otto Pasching schwieg. Es war ihm bekannt, aus welchem Grund sein Partner auf die Zivilkollegen nicht gut zu sprechen war.
In einem Punkt hatte sich Inspektor Gattermeier jedenfalls geirrt.
Die Beamten des LKA waren schneller da als gedacht.
Plötzlich knatterte es über den Bäumen und ein Polizeihubschrauber landete inmitten der Burgwiese.
„Die kommen mit dem Hubschrauber. Ich kann es nicht glauben!“, entfuhr es dem Streifenpolizisten.
“Hat aber eine Logik! Von St. Pölten hierher wäre eine längere Fahrzeit nötig!“
Otto Pasching schüttelte den Kopf. „Ich sage doch – sie hätten auch von Wiener Neustadt…“
Der Inspektor unterbrach ihn und ging den drei Gestalten, welche über die ehemalige Turnierwiese rannten, entgegen. Er kannte sie und es war ihm klar, welche Häme ihn erwartete.
„Na sieh einer an – unser zukünftiger Leutnant. Noch immer nicht geschafft?“, wurde er von Leutnant Friedhelm Matzinger, einem ehemaligen Freund, begrüßt. Ehemaliger Freund deshalb, weil ihm Feri Gattermeier nach einer süffisanten Bemerkung über seine nicht erfolgte Beförderung ein blaues Auge schlug.
Leutnant Matzinger wechselte schnell das Thema, als er die Wut in den Augen seines ehemaligen Freundes und Partners aufkommen sah.
„Das ist Inspektor Kurt Thiemig und jener hier unser Pathologe Gary Strobl“, deutete er auf seine Begleiter.
„Revierinspektor Feri Gattermeier und das ist Inspektor Otto Pasching von der Verkehrspolizei“, brummelte Gattermeier unwirsch.
Es ärgerte ihn, dass ihm die ehemaligen St. Pöltner Kollegen den Matzinger, seinen ehemaligen Partner, vor die Nase setzten.
Ihr Disput hatte Wellen geschlagen und für Gattermeier die Rückstufung und die Versetzung nach Schwarzau bedeutet. Es war eine Strafversetzung. Schwarzau war nur bekannt für das Schloss Schwarzau, in dem Kaiserin Zita und Kaiser Karl am 21. Oktober 1911 heirateten
. Heute dient das Schloss als Strafvollzugsanstalt für Frauen. Es ist sonst ein unbedeutender 2000 Seelen-Ort südlich von Wiener Neustadt am Beginn der sogenannten „Buckligen Welt“ im Südosten Niederösterreichs. Eine ruhige und friedliche Gegend im Osten des Bezirks Neunkirchen. Einzig der nahe Autobahnknoten Seebenstein, mit seinen vielen Verkehrsunfällen, sorgte hie und da für ein wenig Abwechslung.
Der Leutnant vermied nun jeden hämischen Unterton.
„Was haben wir?“
„Vielleicht eine missglückte Operation! Es wurde ihm tatsächlich fachgerecht die Niere entnommen und zwischen die Beine gelegt. Der Tod ist vor etwa 12 Stunden eingetreten. Die Leiche wurde gesäubert und in Plastik eingewickelt. Mehr kann ich im Moment nicht sagen.“
Der Pathologe schleppte gemeinsam mit dem Piloten und Inspektor Pasching das schwere Paket in den Hubschrauber.
Sie ließen Leutnant Matzinger und Inspektor Thiemig zurück.
„Gibt es irgendwelche Spuren?“
„Ein Hund hatte den Täter verjagt und die Leiche gefunden!“
„Ob es der Täter war ist noch nicht klar!“, verbesserte Leutnant Matzinger.
Gattermeier schluckte die böse Antwort herunter. Heute würde er sich keine Blöße geben. Vielleicht war die Tatsache, dass sie ausgerechnet Matzinger schickten, ein Test des LKA. Vielleicht gab es eine Chance für ihn, noch einmal ins „Landes-Kriminal- Amt zu wechseln!
Der Leutnant sah den Forstweg und schüttelte den Kopf.
„Spuren werden wir hier kaum finden. Hier kommt ein normales Fahrzeug ganz sicher nicht herauf. Es muss sich um ein geländegängiges Fahrzeug handeln. Das ist eine Spur. Wo ist der Hundeführer?
„Wir haben ihn nach Hause geschickt. Wir konnte ja nicht ahnen, dass ihr mit dem Hubschrauber ankommt. Aber er wohnt hier am Fuße des Berges!“
„Ihr habt den Zeugen einfach weggeschickt? Vor unserer Ankunft?“
Der Leutnant vermied es das Wort „Du“ zu sagen, obwohl er eindeutig der Meinung war, dass Feri dafür verantwortlich war.
Otto Pasching hatte inzwischen per Handy den Leo Handler gebeten, noch einmal an den Fundort zu kommen. Dieser willigte ein. Es würde ein paar Minuten dauern.
Friedhelm Matzinger war verärgert. Er fand es eine Schlamperei.
Inzwischen war die Spurensicherung aus Neunkirchen eingetroffen und nahm ihre Arbeit auf.
Nun kam auch Leo Handler mit seinem Auto an.
Der Leutnant nahm ihn mit auf die Seite zu der Bank, um ihn zu befragen.
Otto flüsterte Feri zu: “Jetzt macht er sich wichtig. Ich habe Handler doch schon befragt.“
„Wir müssen ganz cool bleiben. Egal wie er reagiert!“, sagte Gattermeier mit bitterem Unterton.
Inspektor Thiemig gesellte sich zu den Beiden.
„Der Leutnant ist nicht begeistert“, begann er. „Man kann die Spannung zwischen ihm und Ihnen, Inspektor Gattermeier, spüren. Das ist nicht normal.“
„Das hat einen aktuellen Grund, über den wir nicht sprechen wollen!“, wehrte Gattermeier sofort ab.
Thiemig schwieg, nahm sich aber vor herauszufinden was hier los war. Diese Frostigkeit der Beiden war doch spürbar. Das war keine Basis für eine gute Zusammenarbeit.
„Hat die Spurensicherung irgendwelche Erkenntnisse?“
Gattermeier war froh, ablenken zu können.
„Tut mir leid. Hier war nichts zu holen. Der Weg ist zu steinig. Möglicherweise haben wir mit Fingerabdrücken auf dem Plastik Erfolg. Das müssen wir im Labor untersuchen, denn die Leiche ist schon weg.“
„Bevor die Spurensicherung ihren Teil getan hat?“, wunderte sich jetzt Inspektor Thiemig.
„Zu der Zeit war schon der Matzinger verantwortlich!“, ätzte Feri Gattermeier, “ich wasche meine Hände in Unschuld!“
Inspektor Kurt Thiemig unterdrückte die Bemerkung, die er eben machen wollte. Leutnant Matzinger hatte seine Befragung beendet und kam heran.
„Nun? Gibt es etwas Neues?“, fragte er. Die drei Beamten schüttelten den Kopf.
„Keine Spuren? Auch nicht von dem geparkten Wagen?“
„Nichts dergleichen!“
„Verdammt! Was wollte der Verdächtige bloß hier. Er hätte den Toten im Wald längst ablegen können. Hier ist doch weit und breit nichts.“
Der Leutnant blickte sich ratlos um.
„Da sind Sie im Irrtum. Er wollte die Leiche für immer verschwinden lassen!“, widersprach Inspektor Pasching. „Er kannte sicher die Gegend rund um die Burg Seebenstein!“
„Ja zum Teufel – wie denn?“ Friedhelm wurde ungeduldig. Der Fall war ihm ein Rätsel. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel und er verspürte Hunger.
Otto Pasching war stolz dieses Geheimnis lüften zu können.
„Ganz einfach. Er wollte die Leiche in den Brunnen werfen!“
Triumphierend blickte er in die verdutzten Gesichter.
„Brunnen? Wo ist hier ein Brunnen?“
Auch Gattermeier hatte davon noch nie gehört.
„Hier hinter dem Zaun. Das sind nur ein paar Schritte.
„Da ist ein Brunnen. Als Kinder haben wir dort Steine hineingeworfen. Es dauerte immer einige Sekunden bis man es klatschen hörte! Das ideale Grabesversteck für einen Ermordeten. Der Brunnen soll eine Tiefe von 150 Metern haben. Wer weiß wie viele Leichen da schon drinnen liegen!“
„Grabesversteck - jetzt geht ihm die Phantasie durch!“, dachte Thiemig.
Sie setzten sich in Bewegung, um den Brunnen zu begutachten.
Etwa 100 Meter vom Eingang der Burg entfernt und auf der anderen Seite von dem Forstweg kaum 30 Meter, stand ein riesiger Ahornbaum, von ein paar Gebüschen und einem Zaun umgeben. Man musste sehr nahe herankommen, um das Brunnenloch zu sehen. Es war einfach am Boden ohne besondere Umrandung angelegt.
„Um Himmels Willen das ist ja ein Riesending! Das sind ja annähernd drei Meter im Durchmesser. Frei zugänglich! Der Zaun ist doch kein Hindernis. Das Loch sollte doch abgedeckt sein!
„Ja, vor allem weil an dem Zaun noch die Bank steht. Es ist nicht allzu schwer, mit der Leiche auf die Bank zu steigen und sie auf nimmer wiedersehen verschwinden zu lassen.
„Das war also der Plan!“
„Er hätte es beinahe geschafft, wenn ihm der Hund nicht in die Quere gekommen wäre.
„Es sollte also jemand sein, der sich hier auskennt.“
„Das muss nicht sein!“, widersprach Leutnant Matzinger.
„Es ist möglich, dass man eine Erwähnung im Internet findet. Dazu muss man nicht von hier sein.“
Revierinspektor Feri Gattermeier war anderer Ansicht, doch er schwieg.
„Damit wären wir hier oben fertig. Ich habe Hunger! Gibt es in dem Nest ein Lokal, wo man essen kann?“
„Es gibt eine Pizzeria in der Nähe des Bahnhofs“, erklärte Otto Pasching stolz. Er fand, dass er einen wichtigen Beitrag zur Klärung des Falles beigetragen hatte.


„Fassen wir also zusammen!“, meinte Leutnant Matzinger als sie sich im Extrazimmer der Pizzeria „Am Spitz“ hingesetzt hatten.
„Eines scheint klar zu sein. Die Operation könnte irgendwo gemacht worden sein. Ganz offensichtlich handelt es sich um einen fehlgeschlagenen Organhandel!“
„Das wäre in dieser Gegend eher unüblich. Illegal Organe zu entnehmen ist ein gutes Geschäft. Aber in Österreich? Das wäre neu.“, widersprach ihm Gattermeier.
„So eine Niere kann bis zu 160 000 Euro bringen!“, warf Thiemig ein.
„Dafür würde man Strukturen brauchen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die bei uns vorhanden sind!“, meinte Gattermeier wieder.
„Was nicht ist, kann noch werden“, sagte der Leutnant.
Er war mit der Pizza zufrieden.
„Außerdem – es ist nicht mehr dein Problem.“, wandte er sich an Inspektor Gattermeier, triefend vor Hohn. Er hatte die Abreibung von damals noch nicht überwunden.
„Die weiteren Untersuchungen können wir von St. Pölten aus machen. Aber es war nett, dich wiederzusehen Feri. Auch wenn du nachtragend bist. Ich wünsche dir für deinen weiteren Berufsweg das Beste, was du haben kannst.“
Er wandte sich zu Thiemig: „Wir nehmen die Bahn. Da haben wir Zeit zu überlegen. Vermutlich müssen wir Interpol einschalten!“
Für diese Aussage würde ihm Gattermeier am liebsten noch ein Veilchen aufs Auge verpassen, doch er beherrschte sich.
„Das Beste was ich haben kann!“, murmelte er vor sich hin. „So eine Frechheit. Der wird sich noch wundern!“
Er sah den Beiden nachdenklich hinterher, als sie zum Bahnhof schritten.
„Meinen Sie auch, dass es hier um einen illegalen Organhandel geht?“, fragte Inspektor Pasching seinen Partner.
„Nein! Es spricht einiges dagegen. Die Sorgfalt, mit der der Körper der Leiche gesäubert wurde spricht dafür, dass sie einander gut kannten. Es muss eine Beziehung zueinander gegeben haben!“
„Damit sind Sie aber auf einem völlig anderen Weg als Leutnant Matzinger!“
„So ist es. Er will uns los werden, aber wir werden den Fall ohne ihn aufklären!“
Er richtete sich auf. Energie durchströmte ihn. Sein Plan stand fest.
„Ich habe noch freundschaftliche Verbindungen nach St. Pölten. Auf diese Weise werde ich Friedhelms Fortschritte mitverfolgen können!“
„Sie wollen auf eigene Faust recherchieren? Ohne Genehmigung von oben?“
„So ist es und Sie werden mir dabei helfen!“
Es hörte sich nicht so an als würde er eine Widerrede dulden.
„Riskiere ich damit nicht meinen Job?“
„Ich werde den Postenkommandanten teilweise einweihen. Damit machen wir ihn mitschuldig. Er wird sich hüten, uns in die Quere zu kommen. Wir lösen den Fall, aber ich kann es nicht allein. Werden Sie dabei sein?“
Die Sicherheit des Revierinspektors irritierte Inspektor Pasching. Doch genau betrachtet, versprach die Sache interessant zu werden. Interessanter jedenfalls als nur Verkehrsunfälle, mit denen er es normalerweise zu tun hatte. Er nahm einen tiefen Atemzug.
„In Ordnung – ich bin dabei und hoffe, dass Sie wissen was sie tun!“
„Als Erstes muss man herausfinden wer der Tote ist. Ich denke – das wird Friedhelm sehr bald geschafft haben. Also auf gute illegale Zusammenarbeit.“
Bei dem Wort „illegal“ zuckte Otto zusammen, aber schließlich reichte er dem Revierinspektor die Hand zum Bund. Feri sah sich seinem Ziel so nahe wie schon lange nicht mehr. Sollte er den Fall lösen, würden sie ihn mit Kusshand wieder nach St. Pölten holen. Das war sein Ziel.

Leutnant Matzinger gründete inzwischen eine SOKO - Organhandel. Sie forschten gemeinsam mit Interpol nach illegalem Organhandel in Österreich oder Deutschland. Eurotransplant war normalerweise die Plattform, mit der offiziell mit Organen gehandelt wurde. Doch bald erkannte Friedhelm, dass es tatsächlich zu wenig verfügbare Organe gab. Das wiederum spielte dem illegalen Handel mit Organen in die Hände. Todkranke Patienten waren offensichtlich bereit, jeden Betrag für die Rettung ihres Lebens zu bezahlen.
In Österreich war allerdings kein illegaler Fall bekannt. Rundum und vor allem in Osteuropa sowie Pakistan und Indien war von Mafia-Umtrieben die Rede.
Hier im Lande war jeder automatisch Organspender, es sei denn er distanzierte sich zu Lebzeiten davon. Es gab trotzdem lange Wartelisten. Die Leute der SOKO - Organhandel wurden mit viel Leid konfrontiert, so dass man fast verstehen konnte, wenn jemand illegal ein Organ erwerben wollte. Fast immer war jedoch die Organentnahme im Rahmen eines Verbrechens geschehen. Manche wurden entführt und wachten mit einer entnommenen Niere auf. Manche wachten nicht mehr auf. So wie der Tote bei Burg Seebenstein.
Man kannte inzwischen seinen Namen. Es war Ferenz Wadosch, ein pensionierter Immobilienmakler.  Er lebte völlig unauffällig in einem Haus am Rande von Wiener Neustadt. Die Befragung der Nachbarn ergab nichts. Sie hatten weder etwas gesehen noch Verdächtiges gehört.

Gattermeier hatte einen anderen Plan. Er musste dafür warten, bis Matzingers Beamten das Feld wieder räumten.
„Was wollen Sie noch herausfinden, wenn doch die SOKO – Leute schon hier waren?“, fragte Otto Pasching erstaunt, während sie durch die Gassen rund um das Haus des Toten wanderten. Beide trugen keine Uniformen, um niemanden zu beunruhigen. Otto fühlte sich dabei sehr unwohl.
„Wenn das nur gut geht!“, hoffte er.
„Ich suche jemanden, der für Tratsch empfänglich ist!“, sagte Feri Gattermeier mit suchendem Blick. Plötzlich spannte sich sein Körper. Er dürfte fündig geworden sein.
„Gehen Sie zum Auto!“ sagte er zu seinem Partner. „Lassen Sie sich Zeit und kommen Sie nach ungefähr einer viertel Stunde mit einer Kamera wieder!“
„Aber wir haben doch Handys!“
„Tun Sie, wie ich sage. Vielleicht haben wir Erfolg. Manche Menschen werden von mehreren Personen eingeschüchtert. Da kann ein Einzelgespräch helfen!“
Otto verstand. Er ging zu dem Auto, das etwas weiter um die Ecke parkte.
„Ich bewundere Ihren Blumengarten!“, rief Feri der alten Dame zu, die sich am Fenster hinter dem Vorhang zu verstecken suchte. Dennoch war sie neugierig genug, um immer wieder dahinter hervor zu blicken.
„Der ist nicht nur schön, das ist auch Bienenfutter. Sie haben ein Herz für Insekten. Das kann man an den Insektenhotels im hinteren Garten sehen!“ Die Dame reagierte nicht.
„Ganz anders als der Garten da gegenüber. Er ist kalt und schmucklos.
Eine Schande. Zwar sehr gepflegt, aber ohne Leben!“
Diesmal reagierte die Dame und schob den Vorhang beiseite.
„Sie haben recht. Es ist eine Schande. Man könnte so viel Schönes aus diesem Garten machen!“
„Die sind eben keine Gartenliebhaber!“
„Es gibt nur einen Er und wie man hört ist er gestorben!“
„Ja! Ich habe es auch gehört, aber die näheren Umstände waren etwas seltsam!“ Feri sprach absichtlich leiser, so dass sie die letzten Worte kaum mehr verstehen konnte.
Das weckte ihre Neugier noch mehr und sie öffnete die Haustüre und blieb in der Nähe stehen.
Feri Gattermeier trat bewusst vom Gehsteig etwas zurück auf die Straße. Wenn er sprach, wurde er immer schwerer hörbar. Das strengte die Dame an.
„Ach kommen Sie doch herein, so spricht es sich leichter!“, sagte sie schließlich und öffnete die Gartentür. Die Neugier hatte über ihre Vorsicht gesiegt. Nun lobte Gattermeier sie für jede Anlage in ihrem Garten. Sie führte ihn geschmeichelt herum, doch schließlich wollte sie mehr über den Tod des Nachbarn wissen.
„Setzen wir uns doch in die Laube und ich mache Ihnen einen Tee“, bestimmte sie schließlich. Feri war mit dem folgenden Gespräch sehr zufrieden und als Otto mit dem Fotoapparat auftauchte, stellte er ihn als Fotograf einer Zeitung vor. Otto spielte mit und sie fotografierten eifrig die alte Dame, das Haus und die vielen wunderschönen Blumen.
Auf dem Heimweg fragte Otto Pasching verblüfft.
„Wie haben Sie es nur geschafft so intim ins Gespräch zu kommen?“
„Menschenkenntnis, junger Mann – Menschenkenntnis - das erwirbt man bei der Kriminalpolizei. Außer man heißt Friedhelm Matzinger!“ Dieser Seitenhieb auf seinen ehemaligen Partner musste sein.

 

Leutnant Matzinger war unzufrieden mit dem Ergebnis der Befragungen in der Nachbarschaft des Verstorbenen. Niemand hatte etwas gehört oder gesehen.
Der Mann war ein verschrobener Einzelgänger ohne Kontakte. Man hatte auch den Eindruck, dass niemand über seinen Tod unglücklich war. Das Grundstück war von mannshohen Gebüschen umgeben. Es war von keiner Seite richtig einzusehen. Ein Nachbar erzählte, dass er eine Tochter gehabt hätte, die er von allen fernhielt.
Bisher waren sie diesbezüglich noch nicht fündig geworden. Sie lebte offensichtlich schon längere Zeit nicht mehr dort. Eine Durchsuchung des Hauses ergab nichts. Sie war wie ein Geist. Keine Andeutung auf ein Mädchen oder eine Frau.
Der Mann war ein gebürtiger Ungar. Man kontaktierte die ungarischen Behörden. Vielleicht ergäbe das ein weiterkommen. Es ergab einen Treffer. Ein Mann seines Namens war als Pädophiler bekannt. Er flüchtete noch während der Zeit des „Eisernen-Vorhangs“ nach Österreich und wurde nicht weiterverfolgt. Könnte es eine Spur sein?
Wenn er eine Tochter hatte, dann vielleicht auch eine Frau. Das müsste doch zu eruieren sein.
Man durchsuchte in Wiener Neustadt sämtliche Heiratsdaten der letzten 40 Jahre, kam aber zu keinem Ergebnis.
„Er könnte ja auch unverheiratet eine Tochter haben.“
Aber auch die Suche über den Familiennamen des Getöteten gab kein Ergebnis.
„Es war ein Pädophiler, Womöglich war sie seine Sexsklavin und er hat ihre Spur gelöscht!“
„Sie müsste doch in die Schule gegangen sein!“
„Ist irgendwie blöd, wenn man keinen Namen hat. Vielleicht hilft der Zufall!“
Also durchsuchten sie Schulregister. Ergebnislos!
Inzwischen kamen Meldungen von Interpol. Es gab keinen Zusammenhang zu Österreich oder Wiener Neustadt in Bezug auf illegalen Organhandel.
„Was nicht bedeutet, dass es ihn nicht gibt!“, knurrte Leutnant Matzinger entnervt.
„Wir drehen uns im Kreis und finden keine Anhaltspunkte. Er hat sein Leben sehr unter Verschluss gehalten!“
„Vermutlich aus gutem Grund!“
„Kann es nicht sein, dass jemand nur Rache üben wollte und es auf diese Weise tat?“
„Das widerspricht jeder Logik. Es ging um die Niere. Aber es könnte sein, dass sie plötzlich nicht mehr gebraucht wurde!“
 „Er hatte doch noch seine zweite Niere. Er hätte überleben können!“
„Vielleicht hat er seine Peiniger gekannt und musste deshalb sterben!“
„Nein! Die Art wie die Verletzung behandelt wurde, im Gegensatz zur Niere, zeigt eindeutig die Tötungsabsicht.“
„Ich sage, es ist Organhandel, der irrtümlich aufflog oder irgendwie schief ging. Man musste den Spender schnellstens entsorgen!“, legte sich Matzinger fest.
„Die Art der Entsorgung spricht aber für einen Ortskundigen!“, war sich Thiemig sicher.
Der Leutnant wischte das Argument mir einer Handbewegung weg.
„Man kann heutzutage jede Information im Internet bekommen. Auch die von dem Brunnen auf Seebenstein!“

 

Revierinspektor Gattermeier war zufrieden. Sein Informant Georg Hofreiter aus dem LKA – St. Pölten teilte ihm mit, dass die SOKO – Organhandel in Bezug auf das Opfer schlampig recherchierte. Statt im Umfeld des Ermordeten weiter zu suchen, konzentrierten sie sich auf den internationalen, illegalen Organhandel. Da hatten sie viel zu tun, denn dieser Handel florierte und war nicht leicht zu durchschauen. Interpol war keine große Hilfe aber der Leutnant hatte sich festgebissen und gab nicht auf.
Gut für Gattermeier, denn er hatte nicht nur seinen Freund im LKA, sondern auch die alte Dame als Nachbarin des Ferenz Wadosch. Sie glaubte die Familienverhältnisse des Opfers zu kennen.
„Das Haus gehört seiner ehemaligen Lebensgefährtin. Mit der hatte er eine Tochter. Diese liebte ihren Vater abgöttisch und blieb auch nach der Trennung von der Mutter bei ihm. Es wurde gemunkelt, dass die beiden mehr als nur Vater und Tochter waren.
 Das Mädchen – inzwischen eine junge Frau – war plötzlich verschwunden. Angeblich hatte sie geheiratet und ein Kind bekommen.
Ab diesen Moment ging es mit Ferenz seelisch bergab. Er wurde zum wunderlichen Einsiedler. In der Siedlung mied man ihn wo es möglich war. Das war ihm egal. Er wollte nur seine Ruhe haben.“
Das waren gute Informationen, die das LKA nicht hatte. Diese suchten vergeblich nach Erben des Verstorbenen.
Doch die Information, dass jenes Haus der ehemaligen Lebensgefährtin gehörte, war Goldes wert.
So fand er den Namen der Lebensgefährtin und ihrer Tochter heraus.
Hoch der österreichischen Bürokratie. Man kann sich in diesem Land nicht leicht verstecken. Sie hieß Helga Schopp und ihre Tochter war Iris Kaindl.
Helga Schopp wohnte mit ihrer 80jährigen Mutter in deren Häuschen in der Nähe des Seebensteiner Friedhofs.
Seebenstein war ein faszinierender Ort. Schon bei der Zufahrt von der Autobahn war man von dem Blick auf die Burg gefangen.
„Diese Burg sieht zu jeder Tages- beziehungsweise Jahreszeit anders aus. Besonders wenn im Herbst der ganze Berg bunt gefärbt ist oder der Nebel die Burg wie von Wolken umgibt. Egal wohin du dich in Seebenstein wendest. Der Blick auf die Burg ist immer präsent. Sie sieht auch aus jeder Perspektive anders aus.“
Otto Pasching war stolz auf sein Seebenstein.
Gern hätte er dem Bezirksinspektor den Park mit dem Parkbad und den Tennisplätzen am Waldrand gezeigt, doch dieser war an seinen Ausführungen nicht interessiert. Ja! Otto hatte sogar das Gefühl, dass es Feri nervte.
Als sie bei dem Friedhof anlangten, ließ es sich der Inspektor trotzdem nicht nehmen, den sich sträubenden Gattermeier zu einem besonderen Platz in das Feld hinter dem Friedhof zu schleppen. Der Revierinspektor musste zugeben, er war beeindruckt über die Aussicht, die er hier zu sehen bekam.
Wie auf einer Ansichtskarte war zuerst links in der Höhe die Burg mit dem Turm zu sehen. In der Mitte, leicht die Dächer des Ortes überragend, die Kapelle mit dem Spitzturm. Wenn man danach den Blick weiter nach rechts in die Ferne lenkte, türmte sich zwischen zwei grünen Hügeln der stolz aufragende Schneeberg auf. Er ist das Wahrzeichen dieser Gegend Niederösterreichs. Diese tolle Aussicht wurde noch gekrönt mit einem phänomenalen Sonnenuntergang, der den Himmel um den Schneeberg orange bis rot färbte. Welch ein Panorama! Es ließ das Herz des Inspektor Pasching höherschlagen.
Gattermeier holte ihn in die Wirklichkeit zurück.
„Wir haben noch eine Aufgabe – schon vergessen?“
„Entschuldige! Aber ich habe…!“
„Schon gut. Sie wollten mir Ihre Welt zeigen. Es ist sehr schön hier, wenn man davon absieht, dass wir hier eigentlich beim Friedhof sind!“ ätzte Feri ein wenig. Doch damit kam er bei Otto nicht an.
„Friedhöfe haben etwas romantisches, friedliches an sich…“, versuchte er sich zu ereifern, doch Gattermeier ließ ihn einfach stehen und stapfte eiligen Schrittes zu Frau Schopps Grundstück.
„Wir haben zu arbeiten und der Tag geht zu Ende!“

 

„In Klagenfurt ist ein Patient verstorben, weil die ihm versprochene Niere nicht rechtzeitig ankam!“
Matzinger schwenkte fröhlich ein Memo, als wäre es das Gegenteil einer Todesnachricht.
„Schickt sofort ein Team zur Unterstützung der Klagenfurter Beamten. Möglicherweise gibt es einen direkten Zusammenhang mit unserem Fall! Stellt fest von wem die Niere versprochen war und warum sie nicht rechtzeitig ankam. Klärt alle Möglichkeiten und Fakten im Hinblick auf unseren verstorbenen Spender! Vor allem auf den Verdacht von Organhandel!“
Der Leutnant war zufrieden. Seine Einschätzung zu dem Toten am Seebenstein schien richtig zu sein. Vielleicht könnte seine SOKO den Fall von Klagenfurt aus klären. Die Leiche aus Seebenstein sollte ja für immer verschwinden. Es wurde nur durch einen Zufall verhindert. Ist doch klar, dass man sie, so weit wie möglich vom Tatort entfernt, entsorgen möchte.
Die Beamten des LKA – Kärnten waren sehr erstaunt über ein Hilfsangebot aus Niederösterreich, um das man nie gebeten hatte. Es gab bei ihnen keinen Fall von Organhandel.
Hauptmann Josef Leitner hatte noch nie von einer Sonderkommission – Organhandel gehört.
„Wir haben sie aus gegebenen Anlass wegen eines Vorfalls in Niederösterreich gegründet. Wir haben hier für sie Kopien der Protokolle!“ Inspektor Koller übergab die Dokumente.
Sein Partner Inspektor Fiedler verhielt sich ruhig. Er fand, dass alle Referatsleiter seltsam waren. Diese unverhohlene Arroganz. Das war nicht nur bei diesem Hauptmann zu spüren. Nicht jeder ist zu einem führenden Beamten berufen.
Er – Fiedler, würde es ganz anders machen. Kollegialität ist doch wichtig. Man sollte seine Mitarbeiter ermutigen, ja aufbauen. Er hatte große Aufstiegspläne. Sein Vorbild war Leutnant Matzinger. Der wusste was er wollte und drückte es durch. Er hatte Humor, wenn manchmal auch etwas makaber. Doch wer ihn gut kannte… Da musste er an die Auseinandersetzung mit Matzingers Partner Gattermeier denken. Dieser Mann hatte den Spaß ganz offensichtlich in die falsche Kehle bekommen. So etwas kommt schon mal vor.
An den Protokollen war auch Leitner interessiert. Die beiden Inspektoren aus St. Pölten wirkten jung und unerfahren. War man dabei, sie zu verheizen? Der Hauptmann war schon lange genug im Dienst, um zu erkennen, dass die Beiden sehr unsicher waren.
Leitner überflog die Protokolle und stellte fest, dass es für ihn keine Ursache für einen Tatbestand, „Internationalen Organhandel“, gab.
„Interpol hat hier doch ganz eindeutig festgestellt, dass es keinen Verdacht auf diesen Handel in Österreich gibt. Was Sie meine Herren haben, ist ein Mord durch eine verunglückte Nierenentnahme. Alles was Sie herausfinden müssen ist: Für wen war sie bestimmt!
Ich denke der Täter ist im Umfeld des Toten zu suchen. Finden Sie den Kranken, für den sie bestimmt war und finden Sie einen Chirurgen, der ihn kennt und in der Lage ist, so eine Operation vorzunehmen. Was um Himmelswillen suchen Sie bei uns in Kärnten!“
„Wir sind hier, weil wir Nachricht von so einem Kranken haben, der wegen einer versprochenen, aber nicht angekommenen Niere verstorben ist!“ verkündete Koller eifrig.
„Es könnte doch einen Zusammenhang zwischen den beiden Ereignissen geben. Jedenfalls ist es nicht auszuschließen!“ warf Fiedler ein, um einer hochnäsigen Bemerkung seitens des Hauptmannes zuvorzukommen.
Josef Leitner griff zu Telefon: „Können Sie bitte herausfinden ob es eine Anzeige wegen eines Todesfalles im Zusammenhang mit einer nicht gelieferten Niere gibt?“
Er wandte sich an die beiden Besucher.
„Wir sind hier für Morde und ähnliche Aktivitäten zuständig. Todesfälle in Krankenhäusern gehören nicht zu unseren Aufgaben.
Es dauerte nur einige Minuten, dann kam die Antwort.
Josef Leitner lehnte sich in seinem Stuhl zurück und lächelte gequält.
Also – es gab diese Meldung.
„Na schön! Ich gebe Ihnen unseren Aspiranten Roman Schleger mit. Er ist ein sogenannter Spätberufener. In seinem Vorleben war er Taxifahrer. Er kennt sich hier aus wie in seiner Westentasche. Er kann Ihnen auch dienlich sein, falls Sie unseren Dialekt nicht verstehen sollten!“
Er hatte wieder dieses arrogante, süffisante Lächeln im Gesicht. Das war nicht der Humor, den Fiedler meinte!
Sie machten sich auf den Weg zu den Angehörigen des Verstorbenen.
Roman Schleger war ein netter, ruhiger Mann - so Mitte dreißig und wohnte in Klagenfurt.
„Wieso sind Sie in ihrem Alter noch Aspirant?“
Fiedler erntete einen bösen Blick von seinem Partner. Quasi: `Sowas fragt man nicht´.
Roman nahm es mit Humor.
„Das ist eine fast unglaubliche Geschichte gewesen. Es gab einen Taxiüberfall und die Polizei war nicht erfolgreich. Da der Überfallene mein Freund war, nahm ich gemeinsam mit ein paar anderen Kollegen die Verfolgung auf. Wir sind ja über Funk gut vernetzt. Wir fassten den Kerl und übergaben ihn der Polizei. Kaum 10 Minuten später kam über Funk die Nachricht, dass er der Streife wieder entwischt war. Wir Taxifahrer erwischten ihn wieder und übergaben ihn aufs Neue der Polizei. Diesmal legten sie ihm gleich die Handschellen an!“
„Was geschah dann weiter!“
„Das Geschehen hat mir so gut gefallen, dass ich beschloss Polizist zu werden!“
„Wirklich eine unglaubliche Geschichte!“
Inzwischen waren sie an ihren Ziel angekommen.
Es war ein Einfamilienhaus der gehobenen Klasse. Ein Dienstbote führte sie in eine Art Bibliothek.
Die Dame des Hauses hatte ihren Auftritt. Sie erschien.
Die Anrede der Beamten ernüchterte sie schnell.
„Sie hatten einen Todesfall, wir sprechen unser Bedauern aus!“
„Was will die Kriminalpolizei von uns? Der Tod ist doch geklärt. Das Begräbnis ist nächste Woche! Der Staatsanwalt ist eingeschaltet, denn wir klagen!“
„Woher sollte das Organ kommen und warum kam es nicht an?“
„Aber das war doch schon alles geklärt. Was soll denn das?“
„Nach unseren Informationen sollte die Niere aus Neuseeland kommen!“
„Das wirft die Frage auf wie Sie zu den Informationen kamen!“, staunte sie.
„Wir sind von der Sonderkommission Organhandel und untersuchen Umtriebe mit Organen!“
„Organhandel?“ Frau Nemec, die Lebensgefährtin des Verstorbenen sprang auf.
„Das ist doch eine riesen Dummheit. Die Niere stammt vom Bruder meines Lebensgefährten. Dieser lebt in Neuseeland. Die Niere kam per Flugzeug. Sie war schon unterwegs nach Klagenfurt. Dann mit dem Auto zu uns. Die Operation hatte schon begonnen, die Niere sollte nur noch aus dem Auto geholt werden…!“
Nun verlor sie die Fassung und begann heftig zu weinen.
Man versuchte sie zu trösten, um das Ende des Geschehens zu erfahren. Doch das war nicht mehr möglich. Sie lief in ihr Schlafzimmer und schloss sich ein.
Der Angestellte erzählte fertig: „Das Auto war unversperrt vor dem Spital gestanden und wurde gestohlen. Das geschah innerhalb von ein paar Minuten. Sie fanden den Täter bald aber für meinen Herren war es zu spät.
Er starb an einer Infektion, die er nach dem leicht verspäteten Eintreffen der Niere erlitt!“
Es war still im Raum. Man war von dem Gehörten erschüttert. Leise verabschiedeten sich die Beamten. Fast schämten sie sich.
Doch letzten Endes: Es hätte ja sein können.
Georg Hofreiter, der Computerspezialist des Kriminalamtes und in diesem Fall der Informant Feri Gattermeiers, krümmte sich fast vor Lachen. Leutnant Matzinger verbiss sich weiter in die falsche Fährte und mit ihm die ganze SOKO – Organhandel.

 

Es war ein nettes Häuschen. Ein wenig bieder mit den vielen Rosenstöcken im Vorgarten. Noch waren sie ja zurückgeschnitten. Man konnte die ersten zarten Triebe erkennen. Die Anzahl der glänzenden Rosenkugeln ließ erahnen, welch Paradies dieser Vorgarten im Sommer sein mochte.
Helga Schopp war eine resolute Mittfünfzigerin in Arbeitsklamotten.
Sie war eben dabei, neue Pflanzen in die Beete des hinteren Gemüsegartens zu setzen.
Sie wischte sich einfach die schmutzigen Hände an der Schürze ab. Sie wurden dadurch nicht sauberer, deshalb verzichteten die Beamten auf einen Händedruck.
„Wir kommen wegen eines Ferenz Wadosch. Kennen Sie den?“, eröffnete Gattermeier das Gespräch.
Helgas vormals neugieriger Blick beim Anblick der Beamten, erlosch sofort. Er veränderte sich umgehend in hasserfüllt.
„Natürlich kenne ich den – doch ich habe schon lange nichts mehr mit ihm zu tun.“, sagte sie in verächtlichem Ton.
„Nun immerhin wohnt er in ihrem Haus!“, meinte Inspektor Pasching und erntete dafür einen strengen Blickverweis des Bezirksinspektors.
„Ich brauche dieses Haus nicht. Ich wohne hier im Haus meiner Mutter. Er hat das Haus eingerichtet und Iris hat es so gewollt. Sie sollte es einmal erben.
„Iris, das ist Ihre und des Ferenz Tochter?“
„Ja und sie blieb nach unserer Trennung bei ihrem Vater!“
„Man sagt, sie war plötzlich verschwunden. Wo lebt sie jetzt?“
„Sie ist verheiratet und lebt in Pitten, einem Nachbarort, nur einige Kilometer von hier.
„Wer ist denn da draußen?“ vernahm man die krächzende Stimme einer offensichtlich alten, aber neugierigen Frau aus dem Inneren des Hauses.
Das gab der überraschten Frau Schopp einen Augenblick Zeit, ihre Antwort zu überlegen.
„Was wissen die Polizisten über Ferenz!“, überlegte sie.
Laut sagte sie: „Das ist meine Mutter, sie ist 80 Jahre alt, etwas dement, liebt aber Besuch und das kommt bei uns eher selten vor! Gehen wir doch hinein. Ich muss mich entschuldigen. Wir haben nicht mit Besuch gerechnet und es ist etwas unordentlich, weil ich das schöne Wetter für die Frühlingsarbeit im Garten nützen muss!“
Sie hatte nicht übertrieben. In der Mitte des Raumes, der offensichtlich das Wohnzimmer darstellen sollte, thronte die alte Dame in einem Rollstuhl. Um sie herum lagen Zeitungen wild verstreut. Offensichtlich las sie diese und ließ sie einfach fallen.
Verlegen räumte Frau Schopp zwei Stühle von Kleidung frei, damit die Inspektoren sitzen konnten. Das Zimmer erschien wirklich unordentlich und das sicher nicht erst seit Kurzem. Noch dazu roch es etwas stickig. Fenster öffnen war scheinbar auch nicht die Stärke dieser Frau.
Helga schien die Gedanken der Beamten erraten zu haben, denn sie sagte entschuldigend: „Meine Mutter verträgt offene Fenster nicht um diese Jahreszeit, selbst wenn es draußen schön ist! Was wollten Sie von Ferenz. Er war mein Lebensgefährte, doch das ist schon 15 Jahre her.“
„Was wollen die Polizisten von Ferenz?“, wollte die alte Dame wissen.
„Ach ja darf ich vorstellen? Das ist meine Mutter Katharina Schopp!“
„Damit hatte sie sich wieder einen Augenblick für eine Antwort geschaffen!“, dachte Gattermeier.
Otto Wadosch saß nur mehr ruhig da, um keinen neuen Blickverweis zu bekommen. Es war doch klar, dass der Revierinspektor die Befragung durchführen wollte. Doch auch er erkannte: die Frau verhielt sich eigenartig.
„Wann hatten Sie den letzten Kontakt mit Ferenz Wadosch?“
Gattermeier war sich klar: Diese Frau wusste Bescheid.
„Warten Sie – das ist schon lange her! Eigentlich Jahre!“
Damit hatte sie nicht einmal sonderlich gelogen.
Da kam die Bemerkung von Katharina Schopp, die Gattermeier die weitere Richtung seiner Befragung vorgab.
„Geht es um deine Tochter, diese Hure?“, krächzte sie.
„Mutter – sei still. Deswegen sind die Polizisten nicht hier!“
„Sollten sie aber. Inzest ist ein Verbrechen! Du bist schuld daran!“
„Mutter! Schweig!“ Helga Schopp war außer sich. Otto Pasching konnte sie nur mit Mühe davon abhalten, dass sie ihre Mutter schlug. Er musste die aufgebrachte Frau in den Stuhl drücken und festhalten. Katharina Schopp war nicht mehr aufzuhalten. Jahrzehntelang unterdrückte Wut brach heraus.
„Du willst mich schlagen? Du hast doch gewusst, dass er es mit Kindern getrieben hat! Du hast ihm deine Tochter in den Rachen geworfen!“
„Aber sie hat ihn doch geliebt und wollte bei ihm bleiben!“
Helga Schopp erlitt eine Art Nervenzusammenbruch.
„Sie hat ihn geliebt, ihn geliebt. Ich konnte nichts dagegen tun!“, wimmerte sie.
„Du bist doch die gleiche Hure. Du Drecksau hast ihm das Kind untergeschoben!“, Frau Schopp war nicht mehr zu halten. Sie war nahe an einem Herzinfarkt. Otto rief inzwischen den Rettungsnotruf, denn beide Frauen waren nahe am Kollabieren.
„Als die Iris schwanger war, hat er sie verstoßen. Du hast nichts dagegen unternommen!“
„Halt doch dein Maul! Du weißt doch wie die Iris war! Sie hat sich von niemandem dreinreden lassen.“
Nun war sie tatsächlich der Ohnmacht nahe.
„Die Ohnmacht ist nur gespielt!“, kreischte die alte Frau völlig hysterisch und wollte ihre Tochter mit dem Krückstock schlagen. Das konnte Otto Pasching gerade noch verhindern.
„Verdammt beruhigt euch jetzt!“, brüllte Inspektor Gattermeier plötzlich los. Er dachte ein kleiner Schock würde die Spannung etwas lösen.
Er stand hier offensichtlich vor der Lösung des Falles. Katharina Schopp verstummte tatsächlich vor Schreck und Helga nahm schluchzend die Hände vor das Gesicht.
Katharina wandte sich nun ab und wollte mit den Polizisten nichts mehr zu tun haben. Sie brabbelte vor sich hin und war offensichtlich weggetreten. Sie schien zufrieden. Sie hatte ihre aufgestaute Wut losgelassen.
Der eben erschienene Notarzt gab beiden eine Beruhigungsspritze und verließ sie wieder.
Im weiteren Verlauf konnte Gattermeier aus den Beiden nichts mehr herausholen. Sie hatten sich tatsächlich beruhigt und Helga bat die Beamten zu gehen.
Das taten sie auch.
„Wir sind auf der richtigen Spur“, meinte Feri zufrieden.
„Es ist wie ich dachte, eine Familientragödie. Der operierende Arzt musste das Opfer gut gekannt haben. Doch morgen ist auch noch ein Tag. Wir sind der Lösung sehr nahe.“ Es war inzwischen finster geworden und sie fuhren nach Hause. Hoch oben blickte die hell erleuchtet Burg ins Tal. Wie schon gesagt war sie auch in der Nacht überall zu sehen. Was dem Revierinspektor völlig egal war. Seine Gedanken rotierten.

 

Klagenfurt ergab keinen Zusammenhang mit dem ermordeten Ferenz Wadosch.
Die SOKO – Organhandel war ein Fehlschlag. Es gab keine Hinweise auf einen Organhandel in Österreich.
Oberstleutnant Matthias Kreithner blätterte missmutig in den Akten, die ihm Leutnant Matzinger vorgelegt hatte.
„Ich stelle fest: Viel Lärm um nichts!“, begann er. „Wie denken Sie, werden Sie mit dem Fall weiter machen?“
Friedhelm Matzinger studierte finster seine Fingernägel, um dem Oberst nicht in die Augen sehen zu müssen.
„Vermutlich werden wir von einer anderen Tatmotivation ausgehen. Es könnte sich um eine chirurgische Übung eines gewissenlosen Wahnsinnigen gehandelt haben. Wir werden uns im Umfeld von werdenden Chirurgen umhören müssen. Möglicherweise ist der Täter doch mit der Lokalität bekannt. Das Indiz dafür wäre der Brunnen und die seltsame Zufahrt über den Forstweg!“
Der Oberstleutnant nickte mit dem Kopf.
„Ihr habt viel Zeit verloren. Suchen Sie nach dem geländegängigen Fahrzeug im Umkreis dieser Gegend. Vielleicht werden Sie auf diese Weise fündig. Ihr bisheriges Vorgehen hat Sie nicht berühmt gemacht!“
Mit hängenden Schultern verließ der Leutnant das Büro seines Chefs.
Doch dann straffte sich seine Haltung. Forschen Schrittes betrat er sein Büro. „Leute, wir ändern den Fokus. Wir suchen einen SUV aber einen mit großer Radfreiheit und das in der Umgebung Wiener Neustadt, Neunkirchen. Vielleicht im Zusammenhang mit einem werdenden Arzt oder überhaupt ärztlichem Zusammenhang. Vielleicht Student oder so.
Die SOKO – Organhandel wurde aufgelöst.
 

Otto und Feri waren auf dem Weg nach Pitten, einer Nachbargemeinde von Seebenstein. Dort sollte Iris, die Tochter von Ferenz Wadosch und der Helga Schopp, mit ihrem Gatten wohnen.
Auch hier schwärmte Otto Pasching von der wundervollen Gegend.
„Was für Seebenstein die Burg ist, ist für Pitten das Bergschloss. Es blickt ebenso würdevoll über das Pittental. Es ist zugegeben noch toller als Seebenstein, weil sich an dem Schlossberg angeschmiegt nicht nur die barocke Felsenkirche befindet, sondern auch die Häuser herum wie an den Berg geklebt aussehen. Es wirkt wie die an den Uferfelsen gebauten Häuser Griechenlands. Auch die Farben und Art der Häuser sind ähnlich.
Die Zufahrt dazu war relativ steil und zu dem Haus der Iris Kaindl gelangte man über eine längere Stiege. Es hatte hier wirklich ein südliches Flair.
Otto war kaum zu bremsen:
„Du solltest erst mal sehen, welche Aussicht man von den Zinnen der Kirchhofmauer hat.
Man überblickt den Schneeberg, die Rax, die Hohe Wand, den Semmering und den Hochwechsel.“
Feri Gattermeier schnaufte die Stiegen hinauf. Otto nervte mit seiner übertriebenen Begeisterung. Was interessierten ihn denn die Ortschaften. Er hatte einen Fall zu lösen, um endlich wieder in St. Pölten landen zu können. Diese Landeshauptstadt war sein höchstes Begehr.
Er blickte aufatmend bergab. Da stockte sein Atem und er begann fast zu hyperventilieren. Er griff sich ans Herz und zeigte nach unten. Otto folgte verwundert seinem ausgestreckten Arm, da erkannte er den Grund für Feris Aufregung. Am Fuße des Berges war ein Parkplatz. Da stand ein sogenannter SUV, ein Geländefahrzeug.
„Das ist doch kein Zufall!“, keuchte Gattermeier noch ganz außer Atem.
„Ich bitte sie – heutzutage hat doch jeder zweite einen SUV. Die sind gerade modern!“, warf Otto Pasching ein.
Er hatte seinen Revierinspektor noch nie so aufgeregt gesehen.
„Dies ist nicht nur ein SUV. Das ist ein Landrover Defender. Mit so einem Fahrzeug ist es möglich den felsigen Pfad zu dem Brunnen zu erklimmen!“, erklärte Feri begeistert.
„Sprechen wir doch erstmal mit dieser Iris Kaindl. Dann wissen wir es ganz genau.“, versuchte Otto seinen Partner zu beruhigen.
Nun war Gattermeier nicht mehr zu halten. Er stürmte die Stiegen hinauf, die ihm eben noch zu schaffen machten.
Frau Kaindl sah sie heranstürmen und öffnete die Tür. Sie hatte die Polizei schon erwartet. Ihre Mutter hatte sie informiert, was in Seebenstein vorgefallen war.
„Ich versuche es kurz zu machen!“, sagte Gattermeier forsch. Er hatte noch ein wenig mit seinem Atem zu kämpfen.
„Was wissen Sie über den Tod Ihres Vaters?“
Iris sank zusammen wie ein Häuflein Elend und schwieg.
„Helfen Sie uns doch, dieses entsetzliche Verbrechen aufzuklären!“
Er versuchte es auf die sanfte Tour.
Es meldete sich ihr Handy.
„So gehen Sie doch ran!“, ermunterte sie Gattermeier.
„Es ist mein Mann. Er ist jeden Moment hier. Er soll mit Ihnen sprechen!“
Sie wirkte jetzt völlig apathisch. Mit dieser Frau war im Moment kein Gespräch möglich.
Otto blickte sich um. Es war ein gepflegtes Daheim. Ganz anders als bei ihrer Mutter. Da sah er an der Wand Diplome hängen.
„Sehen Sie doch mal!“, machte er den Revierinspektor aufmerksam.
Dieser sprang auf und betrachtet die Dokumente.
„Ihr Mann ist Arzt?“ Das Bild in seinem Kopf schien komplett.
„In Pension. Er war Chirurg im Wiener AKH (Allgemeines Krankenhaus)“
Das Herz Feri Gattermeiers erbebte. St. Pölten kann kommen!
„Hat er die Niere entnommen?“
Es kam keine Reaktion von Iris.
„Sind Sie sicher, dass ihr Mann hier erscheinen wird?“
Otto hatte den Verdacht, dass dieser womöglich auf der Flucht sein könnte. Auch Inspektor Gattermeier dachte schon an diese Möglichkeit. Vielleicht war es ein Fehler, das LKA nicht einzubinden. Was wäre, wenn der Täter ihnen im letzten Moment, wegen seines Ehrgeizes, durch die Lappen ginge. Dann wohl ade - St. Pölten.
Gattermeier erschauderte - er wurde unruhig. Er rief seinen Postenkommandant an und erklärte ihm die Sachlage. Dieser beruhigte ihn.
„Nun haben wir uns schon so weit hinausgelehnt – jetzt werden wir im letzten Moment nicht aufgeben. Ich gebe sicherheitshalber eine Fahndung nach Gustav Kaindl hinaus. Bringen Sie das zu Ende!“
Iris war wieder zum Leben erwacht.
„Ich werde Ihnen einen Kaffee machen. Sie können beruhigt warten. Ich bin mir sicher er kommt. Er weiß nicht, dass Sie hier auf ihn warten!“
Als sich Iris erhob erkannten sie, dass sie hochschwanger war.
„Ein Nachzügler!“, konnte sich Otto nicht verkneifen angesichts des fortgeschrittenen Alters der Eltern.
„Sie glauben doch nicht im Ernst, dass mein Mann seinem Schwiegervater die Niere entnahm!“, sagte sie mit der dampfenden Kanne in der Hand.
Iris hatte noch die Gelegenheit den Kaffee und Kuchen zu servieren, bis Herr Gustav Kaindl eintraf.
Er wirkte wie ein gemütlicher Mittfünfziger, doch seine weißen Haare und die Tatsache, dass er in Pension war, wiesen auf sein wahres Alter hin.
Er war ziemlich überrascht als er die Beamten sah.
„Polizei? In unserem Haus?“
Er sah prüfend auf seine Frau. Was mochte sie den Beiden gesagt haben.
Diese reagierte völlig gelassen, im krassen Gegensatz zu ihrem vorhergehenden Zusammenbruch.
„Es geht um Ferenz – er ist tot!“, erklärte sie ruhig.
„Ferenz tot? So alt ist er ja noch gar nicht!“, kam die erstaunte Ansage des Gustav Kaindl.
Nun war dem Gattermeier klar, dass es hier nicht einfach ein Geständnis geben würde. Für ihn war sonnenklar, dass er hier den Täter vor sich hatte. Der gleichen Meinung war auch Pasching.
„Jetzt tun Sie doch nicht so unschuldig. Sie waren es doch, der ihn getötet hat. Das werden wir Ihnen beweisen! Es ist besser wenn Sie ein Geständnis ablegen. Erleichtern Sie ihr Gewissen!“
Gattermeier sprach sehr eindringlich. Er wollte die Sache hier zu Ende bringen.
„Wo waren sie Donnerstag um 4 Uhr früh?“, mischte sich Pasching ein.
„Zuhause im Bett. Meine Frau wird das bestätigen können!“
„Reden Sie doch keinen Unsinn! Sie wissen, dass dieses Alibi nichts wert ist!“, polterte Gattermeier.
„Ihre Frau ist schwanger, was denken Sie wie lange sie einem scharfen Verhör standhalten wird!“, versuchte es Pasching.
„Sie dürfen sie nicht verhören und außerdem kann sie die Aussage verweigern!“
„Ich verstehe! Aber wenn sie die Aussage verweigert, kann sie auch ihr Alibi nicht bestätigen!“, drängte Gattermeier nach.
Gustay Kaindl wankte. Gattermeier war klar, dass er nicht mehr lange standhalten würde.
„Geben Sie das Lügen auf. Sie wurden gesehen und auch ihr Geländefahrzeug wurde gesehen. Außerdem wird der Hund Sie erkennen!“
Das war nun auch gelogen, aber für ein schuldbeladenes Wesen mussten diese Ansagen wie Hammerschläge wirken.
Pasching legte noch ein Schäufelchen nach:
„Ihr Landrover steht hier unten auf dem Parkplatz. Wir können Ihnen versichern, dass wir auf jeden Fall etwas finden werden. Schmutzpartikel von der Auffahrt über den Forstweg zum Beispiel. Auch wenn Sie den Wagen noch so gut geputzt haben. Unsere Forensik - Leute finden immer etwas. Man kann eine Leiche nicht über so eine Holperstrecke transportieren, ohne dass minimale Spuren bleiben!“
„Wir werden auch herausfinden für wen die Niere bestimmt war, die man dann offensichtlich nicht brauchte!“, setzte Gattermeier einen drauf.
Gustav Kaindl zucke bei jedem dieser Worte wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Er erkannte, dass Leugnen sinnlos war.
Iris saß da und schluchzte.
Gattermeier erkannte: Der Mann war nun so weit. Er nahm das weitere Gespräch mit dem Handy auf.
Gustav hatte nun traurige Augen und wirkte gebrochen, was Angesichts des ihm vorgeworfenen Verbrechens kein Wunder war.
Die beiden Polizisten warteten und ließen ihn reden.
„Ich glaubte, keine Wahl zu haben“, gab er zu Protokoll. „Mein einziger Sohn, den ich über alles liebe, brauchte eine Nierentransplantation – und das dringend! Ich war bereit, ihm meine Niere zu spenden. Da begann das Verhängnis. Ich konnte sie nicht spenden, weil sie nicht passte. Dabei stellte sich heraus, dass ich gar nicht der Vater war.
Ich stellte ich meine Frau natürlich zur Rede.
Da sie schwanger ist, kam sie als Spenderin nicht in Frage.
Nach einem fast einstündigen Verhör gestand sie unter Tränen, dass sie von ihrem Vater vergewaltigt wurde und mein Schwiegervater der wirkliche Vater meines geliebten Sohnes ist.
Ungeachtet all des Hasses und der schrecklichen Gedanken, die ständig meine Seele marterten, wäre ich bereit gewesen ihm zu vergeben, wenn er eine seiner Nieren seinem – meinem - unserem Sohn opfern würde.
Doch dessen Erschütterung galt nicht seinem kranken Sohn. Er war nur entsetzt, dass sein Vergehen aufgekommen war. Er machte sich um seine Zukunft Sorgen. Zu einer Transplantation war er nicht bereit!“
Gustav bedeckte sein Gesicht mit seinen Händen, als könnte er sich dahinter verstecken. Ihm graute vor sich selbst.
„Ich konnte es nicht glauben. Zuerst war ich fassungslos und verließ ihn wortlos.
Ich sah keinen Ausweg. Während ich nach Hause fuhr, reifte der Plan. Meine menschlichen Gefühle hatten ausgesetzt. Ich wollte nur noch meinen – seinen Sohn retten. Um jeden Preis.
Ein Vater, der seine Tochter vergewaltigt und sie seinen Sohn aufziehen ließ, war schlimm genug. Dass er dann nicht bereit war, diesem das Leben zu retten, war für mich unverständlich. Er hatte für mich kein Recht weiter zu leben.
Also holte ich mein Chirurgenbesteck aus dem Keller und das Weitere kennen sie!“
„Aber warum haben Sie die Niere dann nicht genommen, sondern ihm zwischen die Beine gelegt?“
„Tja! Ein Unglück kommt selten allein! Meine Frau ahnte, was ich vorhatte und rief ihre Mutter an. Während ich noch an der Niere meines Schwiegervaters schnippelte, kam deren SMS. Meine Frau war nicht die Tochter dieses Mannes. Sie war das Ergebnis eines Seitensprunges. Iris Kind war ebenso das Ergebnis eines
One-Night-Stands. Ferenz war nicht der Vater. Genauso wenig wie ich.
Er wusste das offensichtlich und war deshalb nicht bereit, seine Niere zu spenden.
Woher sollte ich das wissen? Es ist sinnlos gewesen, ihm die Niere zu entnehmen. Dennoch! Ich war so zornig und fühlte mich im Recht. Jetzt erst wurde mir klar, dass ich zum Mörder geworden war und Ferenz zu Unrecht getötet hatte. Ich hätte ihn überleben lassen können, indem ich nur eine Niere genommen und ihn wieder zusammengeflickt hätte. Er könnte auch nach dieser Entnahme mit einer Niere leben. In meiner Wut habe ich nur an die Niere gedacht. Sein Leben war mir egal! Die Reue und Einsicht kamen zu spät.
Allerdings! Nach dem, was meine Frau über ihn erzählt hat, war sein Tod, so im Nachhinein gesehen, nicht unverdient.
Dazu kam: Mein Sohn war inzwischen verstorben. Alles umsonst!“
Es war still in dem Raum und man wagte kaum zu atmen. Was für eine Tragödie.
Die Verhaftung nahmen die Schwarzauer Beamten vor.
Es war ruhig im Wagen der Beiden, als sie auf dem Rückweg waren.
Otto versuchte die Stimmung aufzulockern, indem er von einer weiteren Sehenswürdigkeit in Pitten erzählte:
„Der Rosengarten vor dem Pfarrhof mit über 2.500 Rosen stellt das zweitgrößte Rosarium Niederösterreichs dar.“
Gattermeier reagierte nicht. Er war schon in Gedanken im Gespräch mit Oberstleutnant Kreithner und wie dieser reagieren würde. Nämlich auf Feris Bitte, wieder in den Kriminaldienst zu wechseln.
„Das jährlich im Juni stattfindende Rosenfest ist wahrlich ein Fest für Rosenliebhaber!“, setzte Otto Pasching fort, nachdem sich Feri nicht rührte.
„Es gibt auch noch den Historienpfad „Zeitsprünge 4000“. Er verbindet in einer geschichtlichen Zeitreise bedeutende archäologischen Funde bei einem gemütlichen Ortsspaziergang. Es gab hier nämlich auch noch Erz abzubauen!“
„Wenn Sie jetzt nicht aufhören gehen Sie zu Fuß nach Hause. Ist das klar?“
Otto schwieg beleidigt. Aber er hatte zumindest all sein Wissen über seine Heimat kundgegeben.

 

Oberstleutnant Kreithner sah sinnend auf die beiden Kontrahenten, welche, ohne einander zu beachten, vor ihm saßen.
Nach einer längeren, für die Beiden fast unerträglichen Pause, sagte er ganz langsam und bedächtig.
„Was mache ich nun. Da sitzen zwei meiner besten Männer und sind unbrauchbar, weil sie einander nicht vertragen!
Als Partner wart ihr unschlagbar - aber jetzt?
Sie, Matzinger, werfen das Geld der Steuerzahler beim Fenster hinaus, um einer falschen Spur nachzujagen. Sie, Gattermeier, hätten es verhindern können, sind aber vom Ehrgeiz getrieben, illegal und ohne Rückmeldungen, ihrer Idee nachgelaufen und haben noch andere Beamte in ihr Intrigenspiel mitgenommen. Es ist euch doch klar, dass dafür eine harte Strafe notwendig ist! Oder?!“
Jetzt blickten sich Matzinger und Gattermeier erstmals bestürzt an. Sie sahen nicht das hintergründige Lächeln ihres Chefs.
Er ließ die beiden noch ein wenig schwitzen. Dann sagte er laut und im Befehlston: „Zur Strafe werdet ihr in Zukunft wieder als Partner arbeiten, wobei ich den Leutnant Gattermeier zum Leiter der Abteilung ernenne. Das, lieber Matzinger, weil ihre Häme zu eurer Auseinandersetzung geführt hat. Im Übrigen! Gattermeier! Ihre Berufung zum Leutnant wurde zur selben Zeit ausgesprochen wie die des Matzinger, kam aber aus irgendeinem Grund um zwei Tage später an!“
Dann verließ er schnell das Büro, weil sie seine Rührung nicht sehen sollten.
Dadurch sah er nicht, wie sich zwei Exfreunde in den Armen lagen.

Otto Pikal                              2020

 

Der Treppenmord

Ich habe es geschafft. Endlich ist es so weit. Wie lange habe ich versucht meine Frau zu überreden eine Lebensversicherung abzuschließen. Sie hatte sich immer geziert. Doch nun plötzlich war der Vorschlag von ihr selbst gekommen. Allerdings unter der Voraussetzung, daß wie beide eine Versicherung abschließen. Gut....soll sie haben. Sie wird nicht lange genug leben, um von ihr zu profitieren.

In vielen wachen Nächten habe ich mir ausgemalt, wie ich sie loswerden  und dabei noch Geld herausschlagen könnte. Es ist unbedingt notwendig meine finanzielle Lage zu verbessern. Die Raten für das Haus sind überfällig und außerdem habe ich Spielschulden bei sehr unangenehmen Leuten. Wenn ich nicht bald bezahlen würde, könnte das für mich ein erhebliches  Gesundheitsrisiko darstellen.

Diese Leute fackelten nicht lange. Dem Uwe hatten sie beide Beine und die Nase gebrochen. Ja – es müsste bald geschehen. Die Zeit des letzen Aufschubes kommt bedrohlich näher. Für eine kurze Zeit konnte ich meine Gläubiger aus der Unterwelt noch vertrösten.

Aber nun gibt es eine Lösung. Ich werde meine verhasste Frau loswerden und dabei genug Geld erhalten, um meine Schulden zu bezahlen. Renate hatte durch Kinderlähmung einen Fuß kürzer und einen leicht verzogenen Mundwinkel. Aber sie war ein Kind aus reichem Hause und die Aussicht auf eine hohe Mitgift hatte mich alles Andere ignorieren lassen. Aber meine Rechnung ging nicht auf.

Renates Vater hatte mich nie gemocht. Aber dass er seine Tochter enterbt hatte und Renate mir das verschwieg, war eine Sauerei.

Für Renate war es die große Liebe und Geld war ihr nicht wichtig – diese Wahnsinnige. Ich habe sie des Geldes wegen geheiratet und war um die Mitgift betrogen worden. Wer heiratet schon eine Behinderte, noch dazu wenn sie arm ist. Ihr Vater hätte mir dankbar sein sollen, dass ich sie nahm. Er hätte mich fürstlich entlohnen müssen. Stattdessen hat er jede Unterstützung verweigert.

Das Geld, welches sie in die Ehe mitbrachte, war nach einigen Monaten verspielt. Lächerliche Beträge, wenn man bedenkt auf welchen Besitztümern der Alte sitzt. Ich bin eben ein Spieler. Mal gewinne ich, mal verliere ich. Ich konnte doch nicht wissen, daß plötzlich kein Geld mehr da war. Alles war schief gelaufen.

Es war eben eine Pechsträhne. Ein bisschen mehr Geld und ich hätte alles zurückgewonnen. Ich habe doch nur soviel riskiert, weil ich dachte es gebe noch Nachschub aber das verdammte Weib war plötzlich pleite. Nun stehe ich da mit einem verpfändeten Haus, mit Spielschulden in der Unterwelt und einer Frau, vor der ich mich ekle, die mich aber liebt und Zärtlichkeiten von mir erwartet.

Solange sie mir immer wieder Geld geben konnte, verstellte ich mich so gut es ging, aber das war lange schon vorbei. Ich konnte dem Krach und dem Ekel nur durch die Flucht entgehen. Aber das nächtelange Ausbleiben kostete auch Geld und trieb mich immer wieder an die illegalen Spieltische. Es war völlig klar. Renate muss sterben und ich würde die Versicherungsprämie kassieren.

Es war schon lange alles geplant. Nur die Lebensversicherung hatte noch gefehlt. Aber nun ist es so weit. Welches Gefühl der Befreiung!

Ich hatte in letzter Zeit viel in meinem alten Elternhaus ausgebaut. Unter Anderem den Keller mit einer Zentralheizung und einer Waschküche. Der Zugang zum Keller erfolgt über eine steile Holztreppe. Renate ärgerte sich immer wieder über diese Treppe, denn sie kann sie mit ihrem Hinkebein und dem Waschkorb nur mit großer Mühe schaffen. Aber das gehört zu meinem Plan.

Es war eine sehr einfache Holztreppe und die Trittbretter waren nur mit einem Falz eingeschoben und konnten daher jederzeit ausgewechselt werden. Ich  hatte vorsorglich ein Ersatztrittbrett gemacht.

Der Plan ist perfekt. Sie hat heute ihren Waschtag. Ich habe ein Trittbrett von unten angeschnitten, so dass man es nicht sehen kann. Wenn sie mit dem Wäschekorb die Treppe hinuntersteigt, kann sie sich nicht anhalten und wird stürzen.

 

Falls sie sich doch nicht den Hals brechen sollte, kann man ja ein wenig nachhelfen. Niemand wird Verdacht schöpfen, wenn ich das Trittbrett austausche und das Angeschnittene in den Ofen werfe.

Eigentlich müsste es schon passiert sein. Ich werde anrufen. Ich werde ja sehen, ob sie ans Telefon geht. .............

Es hebt niemand ab. Sie sollte im Haus sein. Das kann nur bedeuten...........es ist passiert. Meine Güte – es hat funktioniert. Ich  will es genau wissen. Ich muss nach hause - nachsehen.

Ha – sie hat mir einen Zettel geschrieben.

„Die Heizung ist ausgefallen. Sei bitte so lieb und sehe im Keller nach was los ist. In Liebe Renate“

Ja, liebe Renate – ich werde gleich nachsehen, was im Keller los ist. Ich hoffe Du bist los.

Renate... Liebling! Wo bist du? Na sowas - die Kellertür ist offen. Sieh mal einer an. Das Trittbrett ist gebrochen – soviel kann man sehen.

Tatsächlich – sie liegt unten und rührt sich nicht.

Ich muss runter und dafür sorgen, dass sie auch wirklich tot ist.

Ja, vorsichtig über das gebrochene Trittbrett steigen.

Oh Gott -- das zweite Brett gibt auch nach. -- hilfe! --  ich falle! -- verdammtes Weib! -- sie hat auch eine Stufe  angeschnitten! – ahhhhhhhh -- !!!

 

„Es war ein Doppelmord“ sagte der Kommisar nachdenklich. „Der Mörder wollte auf Nummer sicher gehen. Er hat gleich zwei Trittbretter angeschnitten.“

 

 

Hallo Taxi

 Er kam mir schon von Anfang an verdächtig vor. Als Taxilenker bekommt man ein Gefühl für seine Fahrgäste. Mit der Zeit wächst auch die Menschenkenntnis.
Erstes Merkmal: ständig ruhelose, fahrige Bewegungen und unstete, nervöse Blicke.
Zweites Merkmal: kein klares Fahrziel, herumstottern ohne betrunken zu sein. Stimme seltsam verzerrt.
Drittes Merkmal: Erscheinungsbild; abgewirtschaftet, Verlierertyp, schlampig bekleidet.
Alles in Allem: wenig vertrauenswürdig.
Also ein Fall bei dem ich normalerweise bedauernd erkläre:
„Tut mir leid ich habe eben eine Funkfuhre bekommen, nehmen sie doch bitte das nächste Taxi“.
Soll sich doch ein anderer Kollege mit ihm ärgern.
Erstes Problem: Kein anderer Kollege da, der mich entlasten könnte.
Zweitens: Ich wartete bisher bereits drei Stunden vergeblich auf einen Fahrgast.
Drittens: Aus der Aufschrift auf meinem Wagen ging eindeutig hervor, dass ich ohne Funk unterwegs war.
Viertens: Als erster, noch dazu als Einziger erster Wagen bin ich gesetzlich verpflichtet den Fahrgast zu befördern. Meine Beobachtungen reichen gesetzlich nicht aus um ihn abzulehnen.
Ich ließ den Fahrgast also trotz meines miesen Gefühls einsteigen.
Es wird schon nichts passieren. Ich werde einfach aufpassen.
„Wohin soll es gehen?“
„Richtung Kaltenleutgeben! Ich sag es ihnen dann schon!“
Sofort fühlte ich einen Stich in der Magengrube.
„Ich hätte gerne eine genaue Adresse“, wagte ich zu sagen.
„Ich war nur nachts da... keine sorge ich finde es schon“, war seine für mich sehr unbefriedigende Antwort.
Ich seufzte und fuhr schließlich los.
„Vielleicht ist er ja harmlos und ich mache mir zu viel Gedanken“, hoffte ich. Damals war ich noch nicht bewaffnet.
„Hier rechts ran!“, sagte er plötzlich. Ich erschauderte. Hier war kein Haus zu sehen. Dennoch verlangsamte ich mein Tempo irgendwie automatisch. Plötzlich fühlte ich ein Messer an meiner Kehle und der Alptraum wurde wahr.
„Du greifst jetzt schön langsam nach der Brieftasche und reichst sie mir mit den Fingerspitzen herüber“, raunte er mir ins Ohr und verstärkte den Druck an meiner Kehle. Meine Gedanken arbeiteten. Meine Wut über meine Blödheit und die Frechheit des Mannes mein schwerverdientes Geld zu rauben war größer als meine Angst.
„Mein Geld kriegst du nicht!“, beschloss ich. Allerdings hatte ich sowieso noch keinen Umsatz gemacht. Ich hatte bloß mein Wechselgeld im der Brieftasche. So gesehen wäre der Verlust nicht groß gewesen!
Dennoch... es ging um das Prinzip! Um die Frechheit.
Meine Gedanken wurden brutal unterbrochen.
„Ich warne dich! Gib die Brieftasche rüber oder ich schnitz dir ein Monogramm in deinen Hals!“
Im mir bäumte sich Widerstand auf; trotz der Warnung! Der Mann war nüchtern. Er würde keinen Mord begehen! Das war ein Verlierer; dessen war ich mir sicher.
Da kam mir eine Idee.
„Sei nicht blöd! Bei mir ist nichts zu holen. Ich habe nur das Wechselgeld. Dreihundert Schilling! Ich habe eine bessere Idee. Dabei können wir beide gewinnen!“, ächzte ich.
Ich gab ihm die Brieftasche nicht... pasta!
Nun wurde mir schon mulmig. Das Messer an meinem Hals begann mich zu verletzen. Das Gefühl war äußert unangenehm.
„Was heißt bessere Idee... ich stech’ dich ab! So einfach ist das!“, brüllte er jetzt verärgert. Aber neugierig war er doch!
„Wir könnten gemeinsam zwanzigtausend machen!“
Jetzt begann mich der Hals zu schmerzen und Panik macht sich bei mir breit. Wie lange würde er noch zudrücken?
„Was erzählst du da... zwanzigtausend?“
Der Druck des Messers an meiner Kehle wurde leichter. Ich atmete auf.
„Eine einsame Tankstelle! Drei Kilometer von hier. Ich habe dort gearbeitet. Ich wollte sie immer schon knacken. (Der Druck an meinem Hals wurde weniger)
„Soll das ein Scherz sein?“
Ich merkte, sein Ton wurde unsicherer. Würde er mir glauben?
„Allein bin ich zu feige... aber mit dir... ich als Fahrer und du als Räuber! Wir könnten den Tresor voll erwischen! Er wird erst morgen geleert. Allein in der Kasse sind um diese Zeit mindestens fünftausend Schilling... oder willst du lieber meine lächerlichen dreihundert?“
Ich merkte... er dachte nach. Er wurde unsicher! Die Hand mit dem Messer entfernte sich einige Zentimeter von meiner Kehle... Da packte ich mit beiden Händen zu! Mit einem Ruck zog ich die Hand mit dem Messer von meiner Kehle weg in Richtung Frontscheibe. Dreimal die Woche Gewichtstraining im Fitnesscenter machten sich jetzt bezahlt. Durch den Ruck und dem Überraschungseffekt wurde der verhinderte Taxiräuber aus seinem Sitz nach vorne geschleudert und zwischen den beiden Vordersitzen eingezwängt. Er ließ das Messer los. Sein Kopf war nun neben meinem Körper. Ich packte ihn in eine Art Schwitzkasten und schlug auf sein Gesicht ein. Ich dürfte gut getroffen haben denn sein Körper erschlaffte. Er schien KO zu sein.
Ich erschrak. Was nun? Mit der Polizei wollte ich nichts zu tun haben. Der Mann blutete stark also zog ich ihn aus dem Wagen und legte ihn auf den Straßenrand. Ich sah mich um, startete und fuhr los.
Doch nun meldete sich mein Gewissenswurm.
„Ich habe ihn doch hoffentlich nicht umgebracht!“, schossen mir die Gedanken durch den Kopf „Er braucht Hilfe!“
Ich raste an einer Telefonzelle vorbei.
„Das ist die Lösung!“, dachte ich. Ich wendete und rief über die Telefonzelle den Polizeinotruf an (damals gab es noch kein Handy).
Ich meldete einen Verletzten am Straßenrand und legte auf. Dem Räuber würde geholfen werden. Jetzt erst kam eine überschäumende Freude in mir auf. Ich hatte nicht nachgegeben. Ich fühlte mich als ob ich bei einer Olympiade gewonnen hätte.
Wie sagte schon Wilhelm Busch?
„Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt!“
„Dieser Mann wird sich in Zukunft hüten einen Taxiüberfall zu wagen!
Dessen war ich mir sicher.

Die Euphorie legte sich bald, da ich anfing nachzudenken.
War es Mut oder Dummheit? Es war Zorn und im Zorn kann man nicht klar denken.
Ich hatte wegen lächerlichen dreihundert Schilling mein Leben auf das Spiel gesetzt. Die Sache hätte durchaus auch anders ausgehen können.
Dieser Mann tat mir nun plötzlich leid. Gut... ich hatte ihn nicht angezeigt. Das hielt ich mir zugute.
Dennoch.. ich hatte einem Verlierer nur eine weitere schmerzliche Niederlage erteilt.
Anderseits gebe ich zu bedenken dass im Laufe meiner Zeit im Taxigewerbe 15 Kollegen bei Taxiüberfällen ums Leben gekommen sind. Einige davon kannte ich persönlich.
Da bekommt meine Tat schon ein anderes Gewicht! Oder?

Otto Pikal                    2014